Zwischen Erwartung und Enttäuschung
"Northanger Abbey" erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die ihren Platz in der Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts sucht. Die Übersetzung von Andrea Ott überträgt Jane Austens eleganten, subtil ironischen Stil in ein zeitgemäßes Deutsch, das dennoch das Alter des Textes nicht verschleiert - was zum Lesevergnügen nicht unerheblich beiträgt.
1818 erschien posthum Janes Austens frühester vollendeter Roman "Northanger Abbey". Wenngleich nicht ganz so bekannt wie "Emma" oder "Vernunft und Gefühl", ist er wie alle Romane Jane Austens ein Klassiker und nun in einer neuen Übersetzung von Andrea Ott bei Manesse erschienen.
"Niemand, der Catherine Morland als Kind gekannt hatte, wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie zur Romanheldin bestimmt sei."
Mit diesem überraschenden, die zeitgenössischen Lektüreerwartungen durchkreuzenden Satz beginnt die Geschichte einer vollkommen nichtssagenden Heldin, die eigentlich keine ist.
Offensichtlich hebt damit eine Parodie auf die zeitgenössische Romanliteratur und das dadurch transportierte Frauenbild an. Wir können uns auf eine vergnügliche Lektüre einstellen.
Das einzig Bemerkenswerte an Catherine ist ihre unstillbare Leselust, die die bis dahin Bildungsresistente im Alter von 15 befällt. Und selbst das ist nicht weiter bemerkenswert, wenn man bedenkt, welch ein Lesefieber im 18. Jahrhundert gerade Frauen ergriffen hatte und wie der Buchmarkt sich geschickt auf diese neue Situation einstellte und Literatur für immer größere Publikumskreise, speziell aber für Frauen produzierte.
Zu den besonders beliebten Genres gehörte neben dem empfindsamen Roman der Schauerroman. Und beides, vor allem aber Schauerromane liest Catherine mit besonderem Entzücken und wohligem Grusel, scheinen sie ihr doch ein Gegenmittel zu ihrer vollkommen ereignislosen Existenz als älteste Tochter eines bescheidenen Landpfarrers um 1800 zu sein.
Wie andere literarische Helden vor ihr (etwa Cervantes’ Don Quijote) oder nach ihr (Flauberts Emma Bovary) liest sie identifikatorisch und wörtlich. Sie nimmt das Unwahrscheinliche und Fantastische für bare Münze, entwickelt Sehnsucht nach Abenteuer und Leidenschaft und beginnt, ihr eigenes langweiliges Leben entsprechend umzuinterpretieren.
Bis tatsächlich ein Wunder geschieht: Unerwartet nimmt ein befreundetes Ehepaar sie mit in den Badeort Bath - aber es ist so langweilig mit den beiden Provinzlern! Dann wendet sich das Blatt: Catherine gewinnt eine Freundin, Isabella, in ihren Augen Inbegriff der empfindsamen (Roman-)Heldin, tatsächlich eine intrigante junge Hochstaplerin.
Und dann lernt sie Henry Tilney kennen. Der lädt sie in das Schloss seiner Familie ein: Northanger Abbey. Catherine jubelt. Das muss endlich ein Ort sein wie aus einem echten Schauerroman. Doch erneut erwartet sie eine Enttäuschung: Northanger Abbey hat weder finstere Verliese noch verfallene Mauern. Catherine, in ihrer Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, versteigt sich dazu, Henrys groben und unfreundlichen Vater des Mordes an seiner Ehefrau zu verdächtigen.
Schließlich wird sie von General Tilney hinausgeworfen, der die aufkeimende Liebe zwischen seinem Sohn und Catherine bemerkt, aber entdeckt, dass Catherine nicht die reiche Erbin ist, für die er sie gehalten hat. Damit erweist er sich tatsächlich als böse, wenn auch in einem anderem, einem viel trivialeren Sinne, als Catherine halb befürchtet, halb gehofft hatte. Catherine hat ihr Abenteuer, wenn auch nicht das, das sie ersehnt hatte. Und schließlich gibt es dann doch noch ein Happy End ...
Der ständige Wechsel von Erwartung und Enttäuschung, Illusion und Desillusion strukturiert den außerordentlich unterhaltsamen und intelligenten Roman.
"Northanger Abbey" ist eine brillante, ironische Schilderung unterschiedlicher zeitgenössischer Gesellschaftsschichten. Als früher weiblicher Bildungsroman erzählt er die Geschichte einer jungen Frau, die, wie die Protagonistinnen in Austens anderen Romanen, ihren Platz im Leben, und das heißt letztlich: den richtigen Ehemann, sucht.
Expliziter als jeder andere Austen-Roman, ironisiert er Geschlechterklischees und ist eine glänzende Parodie auf die literarischen Moden der Zeit.
Jane Austens eleganter, subtil ironischer Stil wird von Andrea Ott adäquat in ein zeitgemäßes, dennoch das Alter des Textes nicht verschleierndes Deutsch übertragen, was zum Lesevergnügen nicht unerheblich beiträgt.
Rezensiert von Gertrud Lehnert
Jane Austen: Northanger Abbey
Übersetzt von Andrea Ott, mit einem Nachwort von Hans Pleschinski,
Manesse, München 2007
448 Seiten, 22,90 Euro
"Niemand, der Catherine Morland als Kind gekannt hatte, wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie zur Romanheldin bestimmt sei."
Mit diesem überraschenden, die zeitgenössischen Lektüreerwartungen durchkreuzenden Satz beginnt die Geschichte einer vollkommen nichtssagenden Heldin, die eigentlich keine ist.
Offensichtlich hebt damit eine Parodie auf die zeitgenössische Romanliteratur und das dadurch transportierte Frauenbild an. Wir können uns auf eine vergnügliche Lektüre einstellen.
Das einzig Bemerkenswerte an Catherine ist ihre unstillbare Leselust, die die bis dahin Bildungsresistente im Alter von 15 befällt. Und selbst das ist nicht weiter bemerkenswert, wenn man bedenkt, welch ein Lesefieber im 18. Jahrhundert gerade Frauen ergriffen hatte und wie der Buchmarkt sich geschickt auf diese neue Situation einstellte und Literatur für immer größere Publikumskreise, speziell aber für Frauen produzierte.
Zu den besonders beliebten Genres gehörte neben dem empfindsamen Roman der Schauerroman. Und beides, vor allem aber Schauerromane liest Catherine mit besonderem Entzücken und wohligem Grusel, scheinen sie ihr doch ein Gegenmittel zu ihrer vollkommen ereignislosen Existenz als älteste Tochter eines bescheidenen Landpfarrers um 1800 zu sein.
Wie andere literarische Helden vor ihr (etwa Cervantes’ Don Quijote) oder nach ihr (Flauberts Emma Bovary) liest sie identifikatorisch und wörtlich. Sie nimmt das Unwahrscheinliche und Fantastische für bare Münze, entwickelt Sehnsucht nach Abenteuer und Leidenschaft und beginnt, ihr eigenes langweiliges Leben entsprechend umzuinterpretieren.
Bis tatsächlich ein Wunder geschieht: Unerwartet nimmt ein befreundetes Ehepaar sie mit in den Badeort Bath - aber es ist so langweilig mit den beiden Provinzlern! Dann wendet sich das Blatt: Catherine gewinnt eine Freundin, Isabella, in ihren Augen Inbegriff der empfindsamen (Roman-)Heldin, tatsächlich eine intrigante junge Hochstaplerin.
Und dann lernt sie Henry Tilney kennen. Der lädt sie in das Schloss seiner Familie ein: Northanger Abbey. Catherine jubelt. Das muss endlich ein Ort sein wie aus einem echten Schauerroman. Doch erneut erwartet sie eine Enttäuschung: Northanger Abbey hat weder finstere Verliese noch verfallene Mauern. Catherine, in ihrer Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, versteigt sich dazu, Henrys groben und unfreundlichen Vater des Mordes an seiner Ehefrau zu verdächtigen.
Schließlich wird sie von General Tilney hinausgeworfen, der die aufkeimende Liebe zwischen seinem Sohn und Catherine bemerkt, aber entdeckt, dass Catherine nicht die reiche Erbin ist, für die er sie gehalten hat. Damit erweist er sich tatsächlich als böse, wenn auch in einem anderem, einem viel trivialeren Sinne, als Catherine halb befürchtet, halb gehofft hatte. Catherine hat ihr Abenteuer, wenn auch nicht das, das sie ersehnt hatte. Und schließlich gibt es dann doch noch ein Happy End ...
Der ständige Wechsel von Erwartung und Enttäuschung, Illusion und Desillusion strukturiert den außerordentlich unterhaltsamen und intelligenten Roman.
"Northanger Abbey" ist eine brillante, ironische Schilderung unterschiedlicher zeitgenössischer Gesellschaftsschichten. Als früher weiblicher Bildungsroman erzählt er die Geschichte einer jungen Frau, die, wie die Protagonistinnen in Austens anderen Romanen, ihren Platz im Leben, und das heißt letztlich: den richtigen Ehemann, sucht.
Expliziter als jeder andere Austen-Roman, ironisiert er Geschlechterklischees und ist eine glänzende Parodie auf die literarischen Moden der Zeit.
Jane Austens eleganter, subtil ironischer Stil wird von Andrea Ott adäquat in ein zeitgemäßes, dennoch das Alter des Textes nicht verschleierndes Deutsch übertragen, was zum Lesevergnügen nicht unerheblich beiträgt.
Rezensiert von Gertrud Lehnert
Jane Austen: Northanger Abbey
Übersetzt von Andrea Ott, mit einem Nachwort von Hans Pleschinski,
Manesse, München 2007
448 Seiten, 22,90 Euro