Zwischen Fluch und Segen
Seit dem Altertum nähren Metropolen wie Babylon und Alexandria, Rom und Athen die Künste und die Wissenschaften. Aber auch die Klage über die Metropole als Moloch, über Gedränge, Lärm und Gestank in der großen Stadt, das alles gab es schon in der Antike. Das Buch "Metropolen des Geistes" blickt auf acht Großstädte des Altertums.
"Sag, hast du Babylon gekannt?
Das Löwentor, die Wappenwand,
Den Himmel, hell und morgenweit?
Dort leg den Stab aus deiner Hand,
Dort kehrst du ein, vom Traum gebannt,
Am Ausgang jeder Ewigkeit."
Ein Gedicht von Rolf Schilling aus dem Jahr 1977. Babylon, die Metropole am Euphrat, war schon zur Zeit um Christi Geburt nur noch eine menschenverlassene Ruinenstadt. Aber sie lebt in unserem kulturellen Gedächtnis.
"Babylon war das wichtigste Zentrum der altorientalischen Kultur mit einer jahrtausendelangen Ausstrahlung. Sie verkörpert mit dem Turm zu Babel die menschliche Großleistung und als die 'Hure Babylon' die städtische Dekadenz","
heißt es im Vorwort dieses Buches über Metropolen und ihre kulturelle Strahlkraft. Das je Besondere einer Stadt steht zur Debatte. Das, was sie hervorgebracht hat an Unverwechselbarem: an Architektur und bildender Kunst, Literatur und Musik. Aber auch an politischer Organisation, religiösem Kultus, Lebensart und Philosophie. Es geht auch darum, wie Metropolen den Geist angezogen und gebildet haben. Und um den Einfluss dieses Geistes auf das Umland – und die Nachwelt.
""Solche Wirkungen werden meist erst in zeitlichem Abstand greifbar, ja nehmen an Deutlichkeit zu, je mehr Zeit verstrichen ist. So liegt es nahe, sich mit Metropolen zu befassen, die versunken sind."
Aber nicht alle der acht Großstädte des Altertums, die dieses Buch vorstellt, sind – gleich Babylon - inzwischen vom Winde verweht. Manche leben bis heute, zumindest dem Namen nach: Rom. Athen. Jerusalem. Andere haben den Namen gewechselt. Konstantinopel nennt sich heute Istanbul und Chang’an im Westen von China heißt heute Xi’an.
Neun Geisteswissenschaftler – Assyriologen und Ägyptologen, Judaisten und Byzantiniker, Latinisten, Gräzisten, Sinologen - haben je einen Artikel über eine der Metropolen verfasst. Nur über Rom gibt es zwei Aufsätze, einen über das heidnische Rom unter Augustus, den anderen über das christliche unter Konstantin.
"Woraus entsteht dieses Gefühl sublimen Entzückens, das jeder empfindsame Mensch beim ersten Anblick Roms verspürt? Es ist das alte Rom, das seine Vorstellungskraft beflügelt. Das Land Cäsars und Ciceros und Vergils, das vor ihm liegt."
Zitiert Niklas Holzberg, Autor eines Rom-Aufsatzes, den englischen Autor Horace Walpole. Denn auch Holzberg ist der Meinung (und weiß sie wohl zu begründen): Nur wer nach Rom kommt und jene Stadt vor Augen hat, die die römischen Dichter und Denker erschufen - Vergil und Ovid, Seneca und Cicero – wer also "mit den Augen des Geistes" zu sehen gelernt hat – nur der wird Rom auch voll und ganz genießen können.
Die Ruinen des Forum Romanum sind "poesie-getränkt", nur darum ist und bleibt Rom "die Ewige Stadt".
Aber das Buch beschäftigt sich nicht nur mit Großstädten des Altertums, die den westlichen Kulturkreis geprägt haben. Es gibt zum Beispiel auch einen Aufsatz über Chang’an, heute Xi’an, eine Metropole des alten China.
"Laut Dynastiegeschichte der Han aus dem Jahre zwei nach Christus hatte die Stadt damals 246.200 Einwohner."
Eine Weltstadt nach dem Maßstab dieser Zeit. Ch’ang-an war die erste Hauptstadt des chinesischen Kaiserreiches und das erste Bildungszentrum des Landes. Der junge Kaiser Wu ließ hier eine Hochschule zur Ausbildung von Staatsbeamten einrichten.
"Mitte des zweiten Jahrhunderts soll sie mehr als 30.000 Studenten beherbergt haben."
Gelehrt wurden an der kaiserlichen Hochschule Philosophie und Moral, Politik, Geschichte, Poesie und Musik - streng nach den Anweisungen und Schriften des "Lehrmeister Kong", mit lateinischem Namen Konfuzius.
"Die kanonischen Schriften wurden in einer Standart-Ausgabe zusammengestellt, die dann in Stein gehauen wurde. Sie steht heute im Stelen-Wald der Stadt Xi’an und gehört ins Besuchsprogramm einer jeden China-Reisegruppe."
14 Seiten über Chang’an in diesem Buch erscheinen dem Leser zu wenig. Genau wie 20 über Babylon. Oder 14 über Rom unter Augustus. Das hier ist allenfalls ein "Schnupperkurs" in Sachen "Metropolen des Geistes". Und zwar einer, wo man – als Nicht-Sinologe, Nicht-Byzantinker, Nicht-Gräzist - ab und an eine Erläuterung vermisst und nachschlagen muss. Aber dieses Buch hat so viel Spannendes zu bieten über das Leben in den Großstädten des Altertums, dass man die dringende Lust verspürt, mehr zu erfahren.
Rezensiert von Susanne Mack
Martin Hose und Christoph Levin (Hrsg.): Metropolen des Geistes
Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2009
222 Seiten. 22,80 Euro
Das Löwentor, die Wappenwand,
Den Himmel, hell und morgenweit?
Dort leg den Stab aus deiner Hand,
Dort kehrst du ein, vom Traum gebannt,
Am Ausgang jeder Ewigkeit."
Ein Gedicht von Rolf Schilling aus dem Jahr 1977. Babylon, die Metropole am Euphrat, war schon zur Zeit um Christi Geburt nur noch eine menschenverlassene Ruinenstadt. Aber sie lebt in unserem kulturellen Gedächtnis.
"Babylon war das wichtigste Zentrum der altorientalischen Kultur mit einer jahrtausendelangen Ausstrahlung. Sie verkörpert mit dem Turm zu Babel die menschliche Großleistung und als die 'Hure Babylon' die städtische Dekadenz","
heißt es im Vorwort dieses Buches über Metropolen und ihre kulturelle Strahlkraft. Das je Besondere einer Stadt steht zur Debatte. Das, was sie hervorgebracht hat an Unverwechselbarem: an Architektur und bildender Kunst, Literatur und Musik. Aber auch an politischer Organisation, religiösem Kultus, Lebensart und Philosophie. Es geht auch darum, wie Metropolen den Geist angezogen und gebildet haben. Und um den Einfluss dieses Geistes auf das Umland – und die Nachwelt.
""Solche Wirkungen werden meist erst in zeitlichem Abstand greifbar, ja nehmen an Deutlichkeit zu, je mehr Zeit verstrichen ist. So liegt es nahe, sich mit Metropolen zu befassen, die versunken sind."
Aber nicht alle der acht Großstädte des Altertums, die dieses Buch vorstellt, sind – gleich Babylon - inzwischen vom Winde verweht. Manche leben bis heute, zumindest dem Namen nach: Rom. Athen. Jerusalem. Andere haben den Namen gewechselt. Konstantinopel nennt sich heute Istanbul und Chang’an im Westen von China heißt heute Xi’an.
Neun Geisteswissenschaftler – Assyriologen und Ägyptologen, Judaisten und Byzantiniker, Latinisten, Gräzisten, Sinologen - haben je einen Artikel über eine der Metropolen verfasst. Nur über Rom gibt es zwei Aufsätze, einen über das heidnische Rom unter Augustus, den anderen über das christliche unter Konstantin.
"Woraus entsteht dieses Gefühl sublimen Entzückens, das jeder empfindsame Mensch beim ersten Anblick Roms verspürt? Es ist das alte Rom, das seine Vorstellungskraft beflügelt. Das Land Cäsars und Ciceros und Vergils, das vor ihm liegt."
Zitiert Niklas Holzberg, Autor eines Rom-Aufsatzes, den englischen Autor Horace Walpole. Denn auch Holzberg ist der Meinung (und weiß sie wohl zu begründen): Nur wer nach Rom kommt und jene Stadt vor Augen hat, die die römischen Dichter und Denker erschufen - Vergil und Ovid, Seneca und Cicero – wer also "mit den Augen des Geistes" zu sehen gelernt hat – nur der wird Rom auch voll und ganz genießen können.
Die Ruinen des Forum Romanum sind "poesie-getränkt", nur darum ist und bleibt Rom "die Ewige Stadt".
Aber das Buch beschäftigt sich nicht nur mit Großstädten des Altertums, die den westlichen Kulturkreis geprägt haben. Es gibt zum Beispiel auch einen Aufsatz über Chang’an, heute Xi’an, eine Metropole des alten China.
"Laut Dynastiegeschichte der Han aus dem Jahre zwei nach Christus hatte die Stadt damals 246.200 Einwohner."
Eine Weltstadt nach dem Maßstab dieser Zeit. Ch’ang-an war die erste Hauptstadt des chinesischen Kaiserreiches und das erste Bildungszentrum des Landes. Der junge Kaiser Wu ließ hier eine Hochschule zur Ausbildung von Staatsbeamten einrichten.
"Mitte des zweiten Jahrhunderts soll sie mehr als 30.000 Studenten beherbergt haben."
Gelehrt wurden an der kaiserlichen Hochschule Philosophie und Moral, Politik, Geschichte, Poesie und Musik - streng nach den Anweisungen und Schriften des "Lehrmeister Kong", mit lateinischem Namen Konfuzius.
"Die kanonischen Schriften wurden in einer Standart-Ausgabe zusammengestellt, die dann in Stein gehauen wurde. Sie steht heute im Stelen-Wald der Stadt Xi’an und gehört ins Besuchsprogramm einer jeden China-Reisegruppe."
14 Seiten über Chang’an in diesem Buch erscheinen dem Leser zu wenig. Genau wie 20 über Babylon. Oder 14 über Rom unter Augustus. Das hier ist allenfalls ein "Schnupperkurs" in Sachen "Metropolen des Geistes". Und zwar einer, wo man – als Nicht-Sinologe, Nicht-Byzantinker, Nicht-Gräzist - ab und an eine Erläuterung vermisst und nachschlagen muss. Aber dieses Buch hat so viel Spannendes zu bieten über das Leben in den Großstädten des Altertums, dass man die dringende Lust verspürt, mehr zu erfahren.
Rezensiert von Susanne Mack
Martin Hose und Christoph Levin (Hrsg.): Metropolen des Geistes
Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2009
222 Seiten. 22,80 Euro