Zwischen Freiheitswillen und der Pflicht zum Gehorsam

Von Andrea Gerk |
Thomas Martin, Chefdramaturg der Berliner Volksbühne, hat eine Erzählung nach Motiven einer Erzählung des japanischen Dichters Yukio Mishima geschrieben. Gero Troikes Inszenierung lässt den politischen und kulturellen Hintergrund des Stückes leider aus und bietet weder ästhetisch noch inhaltlich überzeugende Ideen.
Der japanische Dichter Yukio Mishima ist hierzulande vor allem wegen seines spektakulär inszenierten Harakiri im Jahr 1970 bekannt. Dass er auch dreimal für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen wurde, sich für die Re-Inthronisation des Kaisers einsetze und eine Privatarmee – die sogenannte Schwarze Armee Fraktion – rekrutiert hat, und nicht zuletzt einige wirklich bedeutende Bücher geschrieben hat – wie sein autobiografische Werk "Geständnis einer Maske", gerät da eher in den Hintergrund.

Mishimas Erzählung "Patriotismus" hat der Chefdramaturg der Berliner Volksbühne, Thomas Martin, dramatisiert: zu den Protagonisten – einem Leutnant, der Harakiri begangen hat und seiner Gattin Yuko, die ihm, der Tradition nach, in den Tod folgen muss, stellt Martin einen Chor zur Seite.

In Gero Troikes Inszenierung tragen die Chormitglieder, aber auch die Hauptdarsteller, zunächst Masken, wie eine Art Über-Ich der Protagonistin, die hier von Kathrin Wehlisch gespielt wird.
Yuko unterzieht sich einer letzten Selbstbefragung, zerrissen zwischen ihren individuellen Wünschen, ihrem Freiheitswillen und der – von der Tradition bestimmten – Pflicht zum Gehorsam. Während die Frau bei Mishima ihre Rolle annimmt, wird sie in Martins Adaption "zur Kriegerin", die einen Grund für den freiwilligen Tod (er-)findet. Der bleibt freilich in dieser Inszenierung unerzählt, wie auch der politische und kulturelle Hintergrund ausgelassen werden.

Yukos Kostüm, ein buntes Kleidchen, erinnert zitatartig an einen Kimono, auch wenn sie sich das Gesicht schminkt und eine schwarze Perücke aufsetzt, denkt man zwangsläufig an eine Geisha. Auch die Masken, die Chor und Protagonisten zeitweise tragen, scheinen dem japanischen No-Theater entlehnt, doch mit diesen spärlichen Hinweisen auf den kulturellen Hintergrund begnügt sich die Inszenierung.

Ohne Erklärungen zu den strengen japanischen Ritualen, zum philosophischen aber auch politischen Hintergrund der rituellen Selbsttötung, bleibt das Harakiri des Leutnants, aber auch die Zweifel seiner Frau bloße Behauptung. Zwischen No-Theater und Brechtschem Lehrstück angesiedelt, bietet der Abend weder ästhetisch noch inhaltlich überzeugende Ideen.