Zwischen gestern und morgen

Rezensiert von Carola Wiemers · 16.08.2006
Von Früher gibt es eine Menge, das Später bleibt konturenlos. Das merkt die weibliche Ich-Erzählerin am Sonntagmorgen im Bett. Sie führt imaginierte Dialoge mit geliebten Menschen aus ihrer Vergangenheit. Wie in ihren vorherigen Romanen, wird auch in "Wie weiter" Angela Krauß' Sprache zu einem Tanz der Worte.
Wer sich entschließt, einen Text von Angela Krauß zu lesen, lässt sich in einen Tanz der Worte ein. Jedes dieser Worte setzt eine Bewegung in Gang, die auf das Unmögliche zusteuert: vergessen zu machen, was dieses Wort bezeichnen soll. "Der erste Satz, der auf den Leser trifft", führt Krauß in ihren "Frankfurter Vorlesungen" aus, "diese Situation ist vergleichbar jenen ersten Momenten einer Begegnung zwischen zwei Fremden, in denen sich alles Weitere entscheidet".

Dieser Gedanke könnte sofort mit dem Hinweis in das akademische Fach verbannt werden, dass sich das Lesen von Büchern wohl auch ohne solch eine dramatische Dimension vollzieht. Wären da nicht die Texte von Angela Krauß, schmale Bändchen mit Titeln wie "Sommer auf dem Eis", "Milliarden neuer Sterne" und "Weggeküsst". Auch das soeben erschienene Buch "Wie weiter " bleibt mit seiner Aufforderung zu solch einem Tanzvergnügen nichts schuldig.

"Wie weiter" ist der eindringliche Monolog eines weiblichen Ich im stillen Beginn eines Sonntagmorgens. Mit dem ersten Augenaufschlag begegnet es einer Welt, die zwar vertraut scheint, doch mit zunehmender Wachheit den Gedanken ins Zentrum rückt, dass es erstaunlich viele "früher" gibt, während jedes "später" ohne Konturen bleibt. Um der wenig erquicklichen Situation zu entkommen, sucht die Erzählerin Rat in verschiedenen Dialogen mit ihren sog. "Liebesmenschen", von denen man mehrere haben sollte, da einer allein vom Ausmaß des Liebens überfordert wäre.

Zu diesen "Liebesmenschen" gehören der aus Wien stammende, nun in Amerika lebende Leo, die Tatarin Toma, die es an keinem Ort lange aushält sowie der Geliebte Roman, der ihre stillen Morgenstunden und somit auch ihre Ratlosigkeit regelrecht verschläft. Mit jedem Gesprächs-Du verbindet das Ich Geschichten, in denen das "früher" eine konkrete Bezugsgröße bezeichnet. Die Lebensläufe erscheinen dadurch wie in einem Koordinatensystem eingespannt zwischen gestern und morgen.

Es könnte eine friedliche Runde an diesem Sonntagmorgen sein, wäre da nicht die resolute Forderung der Erzählerin an ihre fiktiven Gesprächspartner, ihr doch zu helfen, den Gang der Geschichte endlich zu verstehen. Schließlich hätte sie nie gedacht, der Weltgeschichte so wichtig zu sein, um einen Epochenwechsel wie den im Jahr 1989 aus nächster Nähe miterleben zu dürfen.

Dass Angela Krauß beim Erzählen nicht aus dem Takt gerät, dafür sorgt die Schildkröte Kastanorka. Die langsamen, trägen Bewegungen des Reptils fangen die unruhigen Denkbewegungen auf und geben eine Vorführung von Beharrlichkeit, Treue und Geduld.

Angela Krauß gelingt es, eine enorme Sinnlichkeit in der Sprache zu erzeugen, die zwischen Zaghaftigkeit und scharfem Kalkül pendelt. Behutsam und doch selbstbewusst setzt sie die Worte an ihren rechten Platz und bereitet somit einen Genuss in mehrfacher Hinsicht.

Angela Krauß: Wie weiter
Suhrkamp Verlag, 2006
117 Seiten. 14,80 Euro.