Zwischen Hütten und Palästen
Deutsche wollen keine spanischen Gurken, aber Spanier wollen deutsche Bücher?! Jedenfalls ist das Interesse an Autoren wie Clemens Meyer, Volker Braun und Hans Magnus Enzensberger bei der Buchmesse in Madrid groß.
Wie sonst, wenn nicht mit Autoren sollte sich eine Literaturlandschaft präsentieren? Clemens Meyer, soeben mit dem Erzählungsband "Die Nacht, die Lichter" ins Spanische übersetzter Schriftsteller, begreift das Wesen einer solchen Präsentation schlicht als das, was sie ist: einen Einblick geben in sein Werden und Denken, in die Welt, wie er sie vorfand und wie er sie zu beschreiben versucht:
"Seit ich lesen und schreiben kann, möchte ich, wollte ich schreiben, ich wollte immer Schriftsteller werden, und ich hab immer gedacht, wenn man Schriftsteller werden will, dann muss man auch etwas lernen über das Leben, über die unterschiedlichen Menschen. Nun bin ich in einem Teil von Leipzig aufgewachsen, in einem Arbeiterviertel, in dem spezielle Menschen leben, in dem – sagen wir es mal so – raue Sitten herrschten. Und als Jugendlicher und als Kind bin ich dort sozusagen auf der Straße groß geworden und habe da die unmöglichsten Menschen kennengelernt und viele Dinge erlebt. Aber genauso habe ich immer gelesen und habe mich immer der Literatur verbunden gefühlt und habe meine Helden auch in der Literatur gefunden und meine Vorbilder bei den Schriftstellern gefunden, denen ich nacheifern wollte und etwas Eigenes machen wollte und eine eigene Sprache finden, um dann diese Dinge, die man gehört und gesehen hat, zu Literatur zu machen."
Ob zu Meyers literarischen Vorbildern auch Volker Braun gehört, hat er nicht verraten, allemal war der Büchner-Preisträger in Madrid präsent:
"Da bin ich noch, mein Land geht in den Westen.
Krieg den Hütten, Frieden den Palästen."
Volker Braun, ein erstaunlicherweise im Spanischen noch gänzlich unentdeckter Autor, musste zum Glück auf die recht eigentlich gegenstandslose Frage, die dem Abend überschrieben war, ob auch die deutsche Literatur nunmehr "wiedervereinigt" sei, gar nicht antworten. Abgeklärt und mit feiner Ironie las und sprach er über seine Erfahrungen als ein kritischer, wenn auch publizierter DDR-Schriftsteller, der den Umbruch von 1989 nicht ohne Bitternis begleitet hat und mittlerweile mit eher verschmitzter Lässigkeit die Dinge zu betrachten scheint. Aber nein, da fallen ihm die Demonstranten ein, die seit Wochen Madrids zentralen Platz, die Puerta del Sol, regelrecht belagern und eine wirkliche Demokratie fordern. Was sich zwischen Hütten und Palästen abspielt, erfährt man hier derzeit genau. Und schon funkeln die Augen eines Dichters, der in den Momenten, da die erstarrten Dinge ins Tanzen kommen, immer auch utopische Möglichkeiten sieht.
Volker Braun: "Ich muss unbedingt auf diesen Platz, wo diese von den Verhältnissen ermüdeten Menschen sitzen. Bei uns war ja diese Müdigkeit des Volks, ja, man war der Verhältnisse müde, und das war der Beginn der Verwandlung des Landes. Das war der Beginn dessen, dass ein Staat verschwinden gemacht wurde."
Es ist ein großer Vorzug dieses Gastauftritts, dass er nicht nur ein Jahrmarkt der Autoren ist, sondern tatsächlich Möglichkeiten des Dialogs mit dem Gastgeber sucht. Zum Beispiel in Fragen der Literaturkritik, eine der spannendsten Veranstaltungen bisher. Für wen ist diese Kritik da, was ist letztlich ihr Ziel? Elke Heidenreich plädierte – zumindest im Fall des Fernsehens – für ein Konzept der Vermittlung:
"Wenn man im Fernsehen und nicht auf einer Seite der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung die Möglichkeit hat, etwas über Literatur zu machen, muss man das anders machen. Man muss ganz direkt in die Kamera gucken und sagen: Das sollen Sie lesen, weil... Und nicht groß erklären und intellektuell verbrämen und einordnen, sondern Freude am Lesen wecken durch das ganz Persönliche und ganz Direkte: Lese-Vermittlung und nicht Lese-Kritik."
Der spanische Kritiker Ignacio Echevarría sprang ihr bei, indem er die akademische Verstaubtheit der Literaturkritik in Spanien generell und sehr speziell im Fernsehen beklagte:
"Was das Fernsehen betrifft, so gibt es eine solche vermittelnde Tradition überhaupt nicht. Hier liegen Büchersendungen auf sonderbaren Sendeplätzen, und im Grunde sieht man immer zwei Herren hinter einem mit Büchern vollgepackten Tisch, die sich auf die schwerfälligste und langweiligste Art unterhalten."
Der Autor und Kritiker Peter Hamm freilich gab zu bedenken, dass genau in solchen Begehrlichkeiten nach einer eingänglichen, schnell vermittelbaren Kritik die Gefahr der Verflachung nicht nur lauert, sondern längst manifest ist:
"Ich habe den Eindruck, dass heute sogar viele Kritiker selber kein kulturelles Gedächtnis mehr haben, sondern immer nur fixiert sind auf das, was gerade neu erscheint, auf Neuerscheinungen. Das ist die Crux, das ist der Fehler, wie ich sehe. Alle Literaturkritik ist zunächst einmal: Vergleichen. Wenn man es nicht vergleichen kann, wenn man es nicht in Zusammenhänge stellen kann, ein Buch, wenn man nicht das 18./19. Jahrhundert genauso vor sich hat wie das 20., dann fehlt schon etwas."
Pragmatischer, aber nicht weniger interessant, tauschten sich deutsche und spanische Branchenkenner über die Situation und die Perspektiven ihrer jeweiligen Buchmärkte aus. Ein sachlicher Optimismus auf deutscher Seite, eher ungute Aussichten für Spaniens Buchgewerbe, so ließen sich die Positionen verkürzt beschreiben. Folgen werden bis zum 14. Juni mehrere Veranstaltungen zu Fragen des literarischen Übersetzens, immer flankiert von Buchpräsentationen, die Autoren – wie zum Abschluss Hans Magnus Enzensberger - oder gemeinsam interessierende Themen in den Blick rücken. Man kann es ohne Umschweife so sagen: dieser deutsche Gastauftritt in Madrid ist eine vorzügliche und ausgewogene Präsentation.
"Seit ich lesen und schreiben kann, möchte ich, wollte ich schreiben, ich wollte immer Schriftsteller werden, und ich hab immer gedacht, wenn man Schriftsteller werden will, dann muss man auch etwas lernen über das Leben, über die unterschiedlichen Menschen. Nun bin ich in einem Teil von Leipzig aufgewachsen, in einem Arbeiterviertel, in dem spezielle Menschen leben, in dem – sagen wir es mal so – raue Sitten herrschten. Und als Jugendlicher und als Kind bin ich dort sozusagen auf der Straße groß geworden und habe da die unmöglichsten Menschen kennengelernt und viele Dinge erlebt. Aber genauso habe ich immer gelesen und habe mich immer der Literatur verbunden gefühlt und habe meine Helden auch in der Literatur gefunden und meine Vorbilder bei den Schriftstellern gefunden, denen ich nacheifern wollte und etwas Eigenes machen wollte und eine eigene Sprache finden, um dann diese Dinge, die man gehört und gesehen hat, zu Literatur zu machen."
Ob zu Meyers literarischen Vorbildern auch Volker Braun gehört, hat er nicht verraten, allemal war der Büchner-Preisträger in Madrid präsent:
"Da bin ich noch, mein Land geht in den Westen.
Krieg den Hütten, Frieden den Palästen."
Volker Braun, ein erstaunlicherweise im Spanischen noch gänzlich unentdeckter Autor, musste zum Glück auf die recht eigentlich gegenstandslose Frage, die dem Abend überschrieben war, ob auch die deutsche Literatur nunmehr "wiedervereinigt" sei, gar nicht antworten. Abgeklärt und mit feiner Ironie las und sprach er über seine Erfahrungen als ein kritischer, wenn auch publizierter DDR-Schriftsteller, der den Umbruch von 1989 nicht ohne Bitternis begleitet hat und mittlerweile mit eher verschmitzter Lässigkeit die Dinge zu betrachten scheint. Aber nein, da fallen ihm die Demonstranten ein, die seit Wochen Madrids zentralen Platz, die Puerta del Sol, regelrecht belagern und eine wirkliche Demokratie fordern. Was sich zwischen Hütten und Palästen abspielt, erfährt man hier derzeit genau. Und schon funkeln die Augen eines Dichters, der in den Momenten, da die erstarrten Dinge ins Tanzen kommen, immer auch utopische Möglichkeiten sieht.
Volker Braun: "Ich muss unbedingt auf diesen Platz, wo diese von den Verhältnissen ermüdeten Menschen sitzen. Bei uns war ja diese Müdigkeit des Volks, ja, man war der Verhältnisse müde, und das war der Beginn der Verwandlung des Landes. Das war der Beginn dessen, dass ein Staat verschwinden gemacht wurde."
Es ist ein großer Vorzug dieses Gastauftritts, dass er nicht nur ein Jahrmarkt der Autoren ist, sondern tatsächlich Möglichkeiten des Dialogs mit dem Gastgeber sucht. Zum Beispiel in Fragen der Literaturkritik, eine der spannendsten Veranstaltungen bisher. Für wen ist diese Kritik da, was ist letztlich ihr Ziel? Elke Heidenreich plädierte – zumindest im Fall des Fernsehens – für ein Konzept der Vermittlung:
"Wenn man im Fernsehen und nicht auf einer Seite der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung die Möglichkeit hat, etwas über Literatur zu machen, muss man das anders machen. Man muss ganz direkt in die Kamera gucken und sagen: Das sollen Sie lesen, weil... Und nicht groß erklären und intellektuell verbrämen und einordnen, sondern Freude am Lesen wecken durch das ganz Persönliche und ganz Direkte: Lese-Vermittlung und nicht Lese-Kritik."
Der spanische Kritiker Ignacio Echevarría sprang ihr bei, indem er die akademische Verstaubtheit der Literaturkritik in Spanien generell und sehr speziell im Fernsehen beklagte:
"Was das Fernsehen betrifft, so gibt es eine solche vermittelnde Tradition überhaupt nicht. Hier liegen Büchersendungen auf sonderbaren Sendeplätzen, und im Grunde sieht man immer zwei Herren hinter einem mit Büchern vollgepackten Tisch, die sich auf die schwerfälligste und langweiligste Art unterhalten."
Der Autor und Kritiker Peter Hamm freilich gab zu bedenken, dass genau in solchen Begehrlichkeiten nach einer eingänglichen, schnell vermittelbaren Kritik die Gefahr der Verflachung nicht nur lauert, sondern längst manifest ist:
"Ich habe den Eindruck, dass heute sogar viele Kritiker selber kein kulturelles Gedächtnis mehr haben, sondern immer nur fixiert sind auf das, was gerade neu erscheint, auf Neuerscheinungen. Das ist die Crux, das ist der Fehler, wie ich sehe. Alle Literaturkritik ist zunächst einmal: Vergleichen. Wenn man es nicht vergleichen kann, wenn man es nicht in Zusammenhänge stellen kann, ein Buch, wenn man nicht das 18./19. Jahrhundert genauso vor sich hat wie das 20., dann fehlt schon etwas."
Pragmatischer, aber nicht weniger interessant, tauschten sich deutsche und spanische Branchenkenner über die Situation und die Perspektiven ihrer jeweiligen Buchmärkte aus. Ein sachlicher Optimismus auf deutscher Seite, eher ungute Aussichten für Spaniens Buchgewerbe, so ließen sich die Positionen verkürzt beschreiben. Folgen werden bis zum 14. Juni mehrere Veranstaltungen zu Fragen des literarischen Übersetzens, immer flankiert von Buchpräsentationen, die Autoren – wie zum Abschluss Hans Magnus Enzensberger - oder gemeinsam interessierende Themen in den Blick rücken. Man kann es ohne Umschweife so sagen: dieser deutsche Gastauftritt in Madrid ist eine vorzügliche und ausgewogene Präsentation.