Zwischen Lüge und Dichtung
Trügerisch leicht beginnt der neue Roman von Michael Köhlmeier. Kein europäisches Geschichtspanorama wird hier aufgefächert wie in seinem Großwerk "Abendland". Sondern eine kleine Geschichte vom Nachbarkind und seiner ersten Liebe in einem schmalen Band erzählt.
Der Schriftsteller Sebastian Lukasser, wir kennen ihn bereits aus "Abendland", lebt in Wien, in einer Wohnung mit Dachterrasse und einer sporadischen Freundin. Die Nachbarn unten scheinen ihre einzige Tochter zu vernachlässigen. Man munkelt, die Eltern gehörten einer Sekte an. Tatsächlich ist der Vater ein ehrgeiziger Manager, die Mutter eine hirn- und herzleere Person, die fünfmal in der Woche zu den Hanteln ihres Fitnessclubs eilt. Als die fünfjährige Tochter Madalyn einen Unfall hat, ist es Lukasser, der sie findet und sie begleitet ins Krankenhaus.
Für das Kind ist er seither sein Lebensretter. Kaum in der Pubertät, soll er Madalyn wieder retten. Sie hat sich verliebt. Und braucht Hilfe. Mit ihren Eltern kann sie nicht reden. Er sträubt sich. Will nicht. Will nicht hinein ins fremde Sein, weil er doch gerade in seinem neuen Roman ist. Da würde das Leben das Schreiben stören. Doch als das Mädchen erzählt, gerät er in den Bann dieser jungen, argen Liebe.
Denn Madalyns angebeteter Moritz entpuppt sich alsbald als notorischer und ausgefuchster Lügner. Der Madalyn dennoch betört – oder gerade deswegen. So kann sie ihm immer wieder verzeihen, ihre Großmut unter Beweis stellen, sich schwärmerisch als Retterin seines verkorksten Lebens gebärden.
Sie erzählt Lukasser vom ersten Anruf, dem ersten Kuss, der ersten Lüge, von der haarsträubenden Herkunft ihres Freundes. Und der Dichter tut, was ein Dichter halt macht: er schreibt auf, was er hört.
Und wir werden eingesponnen von Köhlmeier, der schreibt über Lukasser, der wiederum über Madalyn schreibt, die ihrerseits von Moritz erzählt. Alsbald wandelt der Leser berückt durch die Korridore der Fantasie und lässt sich widerstandslos locken in die Zwischenräume zwischen Trug und Wirklichkeit, Dichtung und Wahrheit, zwischen Lüge und Dichtung.
Es ist wunderbar, wie Köhlmeier mit uns spielt. Wie er uns einführt in die Kunst der schriftstellerischen Lügen, die dem Leser Vergnügen bereiten, während er zugleich zeigt, wie die Lügen im Leben, jene, die Moritz Madalyn auftischt, dem Mädchen wehtun.
Und auf einmal schleicht sich ein Argwohn gegenüber den Lügen des Moritz in den Leser, weil er nicht mehr weiß, ob die Raffinesse des Jungen allein kühle Berechnung ist oder Angst, nicht mehr weiß, wo die Lüge aufhört und eine verzweifelte Wirklichkeit anfangen könnte.
Und während man noch denkt, dass das Mädchen an den Lügen zerbricht, bemerkt man erstaunt, dass sie selber Spaß daran findet, die Wirklichkeit zurechtzudichten. Schmerz und Befreiung liegen hier ganz nah beieinander. Und wenn man schließlich verwirrt zwischen Gut und Böse, zwischen Leben und Imagination, zwischen leichtfertigem Spiel und bitterem Ernst nicht mehr zu unterscheiden vermag, dann sitzt man glücklich verstrickt in Zweifel und Vermutungen, in Erinnerungen und Möglichem, sitzt mitten in der Herrlichkeit dessen, was man Literatur nennt.
Besprochen von Gabriele v. Arnim
Michael Köhlmeier: Madalyn
Carl Hanser Verlag, München 2010
173 Seiten, 17,90 Euro
Für das Kind ist er seither sein Lebensretter. Kaum in der Pubertät, soll er Madalyn wieder retten. Sie hat sich verliebt. Und braucht Hilfe. Mit ihren Eltern kann sie nicht reden. Er sträubt sich. Will nicht. Will nicht hinein ins fremde Sein, weil er doch gerade in seinem neuen Roman ist. Da würde das Leben das Schreiben stören. Doch als das Mädchen erzählt, gerät er in den Bann dieser jungen, argen Liebe.
Denn Madalyns angebeteter Moritz entpuppt sich alsbald als notorischer und ausgefuchster Lügner. Der Madalyn dennoch betört – oder gerade deswegen. So kann sie ihm immer wieder verzeihen, ihre Großmut unter Beweis stellen, sich schwärmerisch als Retterin seines verkorksten Lebens gebärden.
Sie erzählt Lukasser vom ersten Anruf, dem ersten Kuss, der ersten Lüge, von der haarsträubenden Herkunft ihres Freundes. Und der Dichter tut, was ein Dichter halt macht: er schreibt auf, was er hört.
Und wir werden eingesponnen von Köhlmeier, der schreibt über Lukasser, der wiederum über Madalyn schreibt, die ihrerseits von Moritz erzählt. Alsbald wandelt der Leser berückt durch die Korridore der Fantasie und lässt sich widerstandslos locken in die Zwischenräume zwischen Trug und Wirklichkeit, Dichtung und Wahrheit, zwischen Lüge und Dichtung.
Es ist wunderbar, wie Köhlmeier mit uns spielt. Wie er uns einführt in die Kunst der schriftstellerischen Lügen, die dem Leser Vergnügen bereiten, während er zugleich zeigt, wie die Lügen im Leben, jene, die Moritz Madalyn auftischt, dem Mädchen wehtun.
Und auf einmal schleicht sich ein Argwohn gegenüber den Lügen des Moritz in den Leser, weil er nicht mehr weiß, ob die Raffinesse des Jungen allein kühle Berechnung ist oder Angst, nicht mehr weiß, wo die Lüge aufhört und eine verzweifelte Wirklichkeit anfangen könnte.
Und während man noch denkt, dass das Mädchen an den Lügen zerbricht, bemerkt man erstaunt, dass sie selber Spaß daran findet, die Wirklichkeit zurechtzudichten. Schmerz und Befreiung liegen hier ganz nah beieinander. Und wenn man schließlich verwirrt zwischen Gut und Böse, zwischen Leben und Imagination, zwischen leichtfertigem Spiel und bitterem Ernst nicht mehr zu unterscheiden vermag, dann sitzt man glücklich verstrickt in Zweifel und Vermutungen, in Erinnerungen und Möglichem, sitzt mitten in der Herrlichkeit dessen, was man Literatur nennt.
Besprochen von Gabriele v. Arnim
Michael Köhlmeier: Madalyn
Carl Hanser Verlag, München 2010
173 Seiten, 17,90 Euro