Zwischen New York und Jerusalem
Hier die von der deutschen Philosophie geprägte politische Theoretikerin, dort der zionistische Universalgelehrte: Der Briefwechsel von Hannah Arendt und Gershom Scholem, der nun erstmals publiziert wird, ist ein wertvolles Zeitdokument der deutsch-jüdischen Geschichte.
Das geistige Wesen des Menschen sei schlechthin die Sprache, behauptet 1916 in einem kleinen Aufsatz Walter Benjamin. Auf das schönste bestätigt wird dieser Satz im nun erstmals publizierten Briefwechsel von Hannah Arendt und Gershom Scholem. 25 Jahre sind dokumentiert, von 1939 bis 1964.
Wenn man bedenkt, was sich in dieser Zeitspanne historisch ereignete und von welch unterschiedlichen Polen aus, geografisch wie politisch-lebensgeschichtlich, diese beiden außergewöhnlichen Intellektuellen miteinander kommunizierten, kann man ermessen, was für ein wertvolles Zeitdokument hier vorliegt – mit ausführlichem Kommentar und weiteren Dokumenten versehen von der Berliner Publizistin Marie Luise Knott.
Gershom Scholem, geboren 1897 in Berlin, war bereits in den frühen 20er-Jahren in das damalige Mandatsgebiet Palästina ausgewandert. Hannah Arendt, Jahrgang 1906, war vor den Nazis über Frankreich in die USA geflohen. New York und Jerusalem: hier die von der deutschen Philosophie geprägte politische Theoretikerin, dort der zionistische Universalgelehrte, der die wissenschaftliche Erforschung jüdischer Mystik begründete. Auch Distanz war dieser Beziehung vom Beginn an eingeschrieben.
Exemplarisch markiert der Briefwechsel unterschiedliche Denkpositionen, die nicht nur hinsichtlich deutsch-jüdischer Geschichte bis heute bedeutsam sind. Und er vermittelt einen unverstellten Eindruck vom Wesen der beiden Briefeschreiber – ihrer geistigen Größe, ihrer Idiosynkrasien, ihrem Temperament, ihrer Herzensbildung. Auch von ihrer Streitlust und beider Selbstbewusstsein, das mitunter ins Arrogante umschlägt. "Widerwärtiges Gerede", heißt es über Horkheimer, "unendlich schnoeselig" über Adorno, "sonderbares Pack" über beide.
Gemeinsam war Arendt und Scholem die Freundschaft zu Walter Benjamin. Zutiefst schätzten sie sein Werk und bemühten sich, dieses über Nazizeit und Kriegswirren hinweg zu bewahren und dann einer Öffentlichkeit angemessen zu präsentieren. Darum geht es – neben der Erfahrung des Exils und der Sorge um den Ausgang des Krieges – vor allem im ersten Teil der Briefe.
Nach 1945 dann engagieren sich Scholem wie Arendt für die "Jewish Cultural Reconstruction" – eine Organisation, die nach geraubten Kulturgütern aus jüdischem Besitz forschte, um eine Bewahrung der Tradition und Erneuerung des Judentums zu sichern. Allerdings wird schnell deutlich, dass Arendt und Scholem von unterschiedlichen Standpunkten aus jüdisches Selbstverständnis konstruieren. Für Hannah Arendt, in der amerikanischen "Diaspora" lebend, ist es keineswegs an den Zionismus gebunden, für Scholem in Israel hingegen ist dieser wesentlich. Diese unterschiedlichen Perspektiven führen letztlich zum Bruch.
Nachdem Hannah Arendt in ihrem Buch "Eichmann in Jerusalem" von der "Banalität des Bösen" (1963) spricht und das Verhalten der Judenräte in den Ghettos kritisiert, wirft ihr Scholem Herzlosigkeit und fehlende Liebe zu den Juden vor. Ihre Replik: "Ich liebe in der Tat nur meine Freunde." Der Disput wird öffentlich in Zeitungen ausgetragen. Danach werden keine Briefe mehr gewechselt. Doch das bis dahin Geschriebene ist konzis, klug, menschlich und klingt so lebendig, dass man das Gefühl hat, einem Gespräch zu lauschen, das immer noch anhält.
Besprochen von Carsten Hueck
Hannah Arendt, Gershom Scholem: Briefwechsel
Herausgegeben von Marie Luise Knott, unter Mitarbeit von David Heredia
Jüdischer Verlag, Berlin 2010,
693 Seiten, 39,90 Euro
Wenn man bedenkt, was sich in dieser Zeitspanne historisch ereignete und von welch unterschiedlichen Polen aus, geografisch wie politisch-lebensgeschichtlich, diese beiden außergewöhnlichen Intellektuellen miteinander kommunizierten, kann man ermessen, was für ein wertvolles Zeitdokument hier vorliegt – mit ausführlichem Kommentar und weiteren Dokumenten versehen von der Berliner Publizistin Marie Luise Knott.
Gershom Scholem, geboren 1897 in Berlin, war bereits in den frühen 20er-Jahren in das damalige Mandatsgebiet Palästina ausgewandert. Hannah Arendt, Jahrgang 1906, war vor den Nazis über Frankreich in die USA geflohen. New York und Jerusalem: hier die von der deutschen Philosophie geprägte politische Theoretikerin, dort der zionistische Universalgelehrte, der die wissenschaftliche Erforschung jüdischer Mystik begründete. Auch Distanz war dieser Beziehung vom Beginn an eingeschrieben.
Exemplarisch markiert der Briefwechsel unterschiedliche Denkpositionen, die nicht nur hinsichtlich deutsch-jüdischer Geschichte bis heute bedeutsam sind. Und er vermittelt einen unverstellten Eindruck vom Wesen der beiden Briefeschreiber – ihrer geistigen Größe, ihrer Idiosynkrasien, ihrem Temperament, ihrer Herzensbildung. Auch von ihrer Streitlust und beider Selbstbewusstsein, das mitunter ins Arrogante umschlägt. "Widerwärtiges Gerede", heißt es über Horkheimer, "unendlich schnoeselig" über Adorno, "sonderbares Pack" über beide.
Gemeinsam war Arendt und Scholem die Freundschaft zu Walter Benjamin. Zutiefst schätzten sie sein Werk und bemühten sich, dieses über Nazizeit und Kriegswirren hinweg zu bewahren und dann einer Öffentlichkeit angemessen zu präsentieren. Darum geht es – neben der Erfahrung des Exils und der Sorge um den Ausgang des Krieges – vor allem im ersten Teil der Briefe.
Nach 1945 dann engagieren sich Scholem wie Arendt für die "Jewish Cultural Reconstruction" – eine Organisation, die nach geraubten Kulturgütern aus jüdischem Besitz forschte, um eine Bewahrung der Tradition und Erneuerung des Judentums zu sichern. Allerdings wird schnell deutlich, dass Arendt und Scholem von unterschiedlichen Standpunkten aus jüdisches Selbstverständnis konstruieren. Für Hannah Arendt, in der amerikanischen "Diaspora" lebend, ist es keineswegs an den Zionismus gebunden, für Scholem in Israel hingegen ist dieser wesentlich. Diese unterschiedlichen Perspektiven führen letztlich zum Bruch.
Nachdem Hannah Arendt in ihrem Buch "Eichmann in Jerusalem" von der "Banalität des Bösen" (1963) spricht und das Verhalten der Judenräte in den Ghettos kritisiert, wirft ihr Scholem Herzlosigkeit und fehlende Liebe zu den Juden vor. Ihre Replik: "Ich liebe in der Tat nur meine Freunde." Der Disput wird öffentlich in Zeitungen ausgetragen. Danach werden keine Briefe mehr gewechselt. Doch das bis dahin Geschriebene ist konzis, klug, menschlich und klingt so lebendig, dass man das Gefühl hat, einem Gespräch zu lauschen, das immer noch anhält.
Besprochen von Carsten Hueck
Hannah Arendt, Gershom Scholem: Briefwechsel
Herausgegeben von Marie Luise Knott, unter Mitarbeit von David Heredia
Jüdischer Verlag, Berlin 2010,
693 Seiten, 39,90 Euro