Zwischen Schutzzauber und Spiritualität
In der Walpurgisnacht verwandeln sich viele Orte zu Hexentanzplätzen. Die selbst ernannten Neuen Hexen haben seit den 1980er-Jahren Konjunktur - vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass sich rund 10.000 Frauen hierzulande als Hexe bezeichnen.
"Ich hab jetzt in den letzten Zeiten mit Kindern zu tun, mit einem Kind, weil ich das manchmal aus dem Kindergarten abhole, und die hatten zu Weihnachten ein Hänsel- und Gretel gespielt und ein Kind war die Hexe, und dieses Kind habe ich zum Schluss gesehen und gesagt: Das hast du toll gespielt. Du bist ne tolle Hexe. 'Wieso? Die Hexe ist doch böse!' Ich sage 'Nein'. Da habe ich denen das erklärt und gesagt, ich bin auch eine Hexe. 'Was? Du bist auch eine Hexe?' Die kamen nach Tagen später, nach Wochen, kamen se noch mal und haben gefragt: 'Stimmt das, du hast doch gar nicht so eine Nase?'"
Ingelore Latza ist eine Hexe und Mitglied des Löwenmondzirkels, der sich seit zehn Jahren regelmäßig in Berlin-Steglitz versammelt, um gemeinsame Rituale zu feiern. Heute ist Neumond, und ein knappes Dutzend Frauen hat sich in einer feierlich geschmückten Altbauwohnung versammelt, um die magische Kraft des zunehmenden Mondes zu feiern.
Es sind junge und ältere Frauen, von denen keine die optischen Klischees einer Hexe erfüllt. In der Mitte des Sitzkreises liegen Symbole für die vier Himmelsrichtungen, eine schwarze Kugel steht für den noch nicht sichtbaren Mond, und eine Schale mit Gerste wird im Laufe des Abends mit individuellen Wünschen versehen und dadurch zur Mondsaat. Zum nächsten Treffen wird aus dieser Gerste die Hexensuppe gekocht. Doch erst einmal wird diese Mondsaat mit einem Mantra gesegnet. Und weil es bei all dem auch darum geht, die Kraft und Macht der Frauen zu stärken, wird er, der gute alte Mond, wie in anderen Sprachen heute zur Sie.
"So wie die Mondin nun zunimmt und bald in vollem Glanz erstrahlt, so nimmt meine Lebenslust zu. Im Namen der Mutter, der Tochter und der weisen Alten – so soll es sein."
"Ich rufe das alte Wissen."
Die selbst ernannten Neuen Hexen haben seit den 1980er Jahren in Deutschland Konjunktur. Offizielle Zahlen gibt es keine, vorsichtige Schätzungen gehen von rund 10.000 Menschen aus, die sich hierzulande als Hexe bezeichnen. Immerhin 35 Prozent davon - so nimmt man an - sind Männer. Auch sie nennen sich übrigens "Hexe", nicht - wie die schaurige Edgar-Wallace-Figur vermuten ließe - "Hexer".
"Ich rufe das alte Wissen, die Schwesternschaft und die Solidarität unter Frauen, die Verbindung zu den anderen Kreisen, zu den alten und den neuen."
Als Stifter dieser neuheidnischen Religion gilt der britische Hobbyanthropologe und Okkultist Gerald B. Gardner. Zeitgenossen beschrieben ihn als einen überaus liebenswürdigen, wenn auch extravaganten und mitunter sogar zutiefst wunderlichen älteren Herren. Er wiederum gab an, von einem geheimen Zirkel selbsternannter Hexen in Südengland inspiriert worden zu sein. In den 1950er Jahren veröffentlichte Gardner zwei Bücher, in denen er das Glaubensgerüst einer Religion entwirft, die er als vorchristlich ansieht und bei der die Verehrung der Natur im Vordergrund steht.
Der Begriff Hexe erfährt bereits in diesen Schriften eine feministische Umdeutung. Die Hexe gilt als starke, selbstbestimmte, magie- und naturkundige Frau, die in der Zeit der Hexenverbrennung Opfer patriarchaler und kirchlicher Gewalt wurde. In ihrer religiösen Praxis berufen sich die Neuen Hexen auf ein verschüttetes "altes Wissen", das in zahlreichen Zirkeln unter der Hand weitergegeben wird. Dabei spielt die Ahnenverehrung eine große Rolle. Sie lässt sich sogar in Berliner Hinterhöfen zelebrieren. Xenia Fitzner zum Beispiel hat in ihrem Garten hinterm Haus eine kleine Kultstätte eingerichtet. Manchmal spürt sie die neugierigen Blicke hinter den Gardinen der Nachbarhäuser, aber die stören sie nicht.
"Das hier ist ein Ahnenbaum, ein Holunder. Im Englischen heißt er Elder Tree."
Unter dem Strauch liegen Knochen, hübsche Steine und Fundstücke von Reisen, in den Zweigen hängt der Schädel eines Schafes, den die Hexe mit einem Spitzendeckchen ihrer Großmutter geschmückt hat.
"Es hat sowohl Schutz- als auch Abwehrfunktion. Wenn hier Leute übern Zaun klettern würden und des hier sehen, ich glaube, dass würde sie schon irritieren."
Heute feiert Xenia Fitzner bei ihrem Ahnenbaum ein sogenanntes Alltagsritual: Ihre Familie hat ein Reh gegessen, nun will sie sich bei dem Tier bedanken. An den übriggebliebenen Reh-Knochen hängt noch etwas Fleisch, das für den Fuchs und die Elstern im Garten bestimmt ist.
"Damit sind wir Stadthexen in Kontakt mit den Krafttieren, was unverzichtbar ist. Sonst hast du die Gefahr, so eine Art Disney-Land-Schamanismus zu machen, wenn du nicht weißt: Ok, du isst dieses Tier, das ist ein Reh, das ist gerannt, das hat im Wald gelebt, das war wild, das hat gerne gelebt, das wurde geschossen, diese sinnliche Wirklichkeit, die erleben wir noch ganz genau."
Die Knochen legt Hexe Xenia feierlich unter den Ahnenbusch. Dann nimmt sie ihre Rassel: einen Schildkrötenpanzer, der mit Milchzähnen und Goldstückchen gefüllt ist.
"Das Rasseln ruft das alte Wissen, das Rasseln lenkt das Bewusstsein von den neueren Bereichen, von der logischen Erkenntnis zurück in das archaische Gefühl, das Rasseln bringt auch so eine rhythmische Bewegung durch die ganzen Knochen. Manche sagen, es klärt und reinigt und vertreibt die schädlichen oder niederdrückenden und lähmenden Energien. Es kann Geister beschwören, besonders eben die erwünschten Geister.
Wenn ich hier mit so einer Ahnenrassel, die ich ja auch selbst zeremoniell gestaltet habe, rassele, dann sind eben durch die Zähne und durch das Holz, das mein Blutsverwandter gefunden hat, ja sind dann eben alle dabei."
Das Wort Hexe geht auf das mittelhochdeutsche Wort Hagazussa zurück und bedeutet so viel wie "Zaunreiterin". Gemeint waren Grenzgängerinnen zwischen dem Hof und der zivilisierter Welt einerseits und der Wildnis andererseits, erklärt Xenia, die den Berliner Löwenmondzirkel anleitet:
"Das heißt, sie kann in die Wildnis reingehen. Sie kennt sich aus mit den Tieren, mit den Pflanzen, mit der Nacht, mit den Sternen. Mit den geheimen Kräften und sie kann aber genauso gut ins Dorf gehen und da heilend oder beratend in ihrer Kunst tätig sein. Früher waren auch ganz viele Hebammen Hexen. Und an diese wunderbare Tradition, die lange verschüttet, aber immer noch in unserem Leib, lebendig ist, möchte ich gerne mit meiner Arbeit anknüpfen."
Matthias Pöhlmann beobachtet für die evangelische Kirche die weltanschaulich-religiöse Gesamtlage in Deutschland, und er versucht zu klären, welche Herausforderungen sich daraus für die Kirche ergeben. Für ihn ist der moderne Hexenglaube eine Art Sehnsuchtsreligion.
"Offensichtlich überwiegt bei vielen Menschen das Gefühl, dass man nur ein kleines Rädchen im Getriebe ist und wo ist jetzt mein Platz? Wo ist meine besondere Rolle? Was kann ich, sozusagen, in meinem Umfeld bewirken? Und für viele ist dann eben der Zugang zu diesen magischen Welten eine Möglichkeit, um dieses Bedürfnis auch auszuleben und sozusagen in die Tat umzusetzen."
Den Weg zum Hexenglauben finden viele eher zufällig. Bei Xenia war es eine Schauspielrolle. Sie sollte eine Hexe spielen. Als sie sich vorbereitete und viel von und über diese weisen Frauen las, fühlte sie sich angesprochen. Manche Frauen, die sich als Neue Hexe bezeichnen, berufen sich auch auf die Familientradition. Moira, die am Rande eines kleinen Dorfes in Brandenburg lebt, möchte ihren tatsächlichen Namen nicht preisgeben.
"Meine Tante hat mir die Dinge weitergegeben, die wir als Familie schon wussten. Wir haben in unserem Dorf ein bisschen in der Hinsicht was gemacht, dass wir die slawischen Götter angebetet haben, dass wir den Kontakt für das Dorf mit unserer Göttin hergestellt haben. Und, ja, das ist in der Familie dann eben weitergegeben worden."
Den Kontakt zu unterschiedlichen Göttern pflegen Hexen durch ihre Mond- und Jahreskreisfeste. Dabei wird besonders "Die Große Göttin" geehrt, denn ihr sagt man nach, alles, was existiert, hervorgebracht zu haben. Den ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens feiern Hexen mit Gesängen und Trommeln, mit Tanz und vor allem mit großer Ausgelassenheit. Besonders zünftig geht es in der Walpurgisnacht am 30. April zu. Das weiß jedes Kind – spätestens seit Ottfried Preußlers kleiner Hexe.
In dieser Nacht verwandeln sich viele Orte zu Hexentanzplätzen, und der Sprung über das Feuer ist obligatorisch. Kauna stammt aus Norwegen. Für die Religionswissenschaftlerin und praktizierende Hexe steht die Walpurgisnacht vor allem für Fruchtbarkeit und die Liebe:
"Wenn man da gerade ein Partner hat, dann ist es ein guter Tag, das wieder zu bestätigen, also die Liebe zwischen Partnern in der Hinsicht. Wenn nicht, naja, dann hat man dann meistens geht man dann mit guten Freunden und macht ein Ritual und hat danach noch eine gute Feier."
Die Jahreskreisfeste zu feiern und Mondrituale zu begehen ist das eine. Was aber wäre eine echte Hexe ohne Magie? Hexe Moira jedenfalls möchte auf sie nicht verzichten:
"Warum soll man nicht mal ein bisschen Magie benutzen, wenn sie einem wirklich hilft? Ich meine, wenn ich schnell durch die Stadt muss, ich bin Autofahrerin, einfach gesagt: So, und jetzt ist jede Ampel grün, dann, ich weiß, dass jede Ampel dann grün ist. Oder, ich habe es gehabt beim Einkaufen gehen, da war Kauna auch mit bei. Ich komme an die Kasse und dann wird eine neue Kasse geöffnet."
Selbst wenn er sich nicht alles erklären kann – Xenias Schwager Jakob schätzt ihre kleinen Hilfen im Alltag:
"Diese Zauber, diese Schutzzauber eben, die nehme ich auch immer gern an, wenn wir dann verreisen, dann hängt sie uns immer ein paar Knochen und Federn ins Auto, und ich find das dann immer klasse und fühl mich dann auch sicherer, muss ich sagen."
Sogar skeptische Verwandte hören - wenn´s brenzlig wird - ein wenig auf Xenia und ihre Hexenkunst:
"Wenn richtig was Schlimmes ist, dann haben sie´s schon gern, wenn ich sage: Ich bete für Euch, ich singe für Euch. Ich hab das Gefühl, ich schau mal nach, ich guck mal für Euch in die Hand oder in die Karten, und wenn ich sehe: Es läuft alles gut, und das dann sage, dann freuen sie sich schon. Oder wenn ich sage: Da und da – pass mal auf, jetzt ist eine Zeit, die ist ungünstig – dann wollen sie´s schon hören. Aber sonst, wenn sie können, dann lachen sie auch gern drüber."
Verheiratet ist Xenia mit Sven. Der ist Physiker und entwickelt Brennstoffzellen. Wenn ihr Mann zu wichtigen geschäftlichen Verhandlungen geht, hilft Xenia auf ihre Weise: Sie lässt Zauber wirken und veranstaltet ein Ritual. Ob seine guten Vertragsabschlüsse darauf zurückzuführen sind? Sven überlegt:
"Es gibt da so einen schönen Ausspruch von Niels Bohr. Das ist der Begründer der Quantenmechanik, der, äh, ein Hufeisen über seiner Tür hängen hatte. Und ein Physiker hat denn gesagt: Sag mal, glaubst du an diesen Quatsch? – Niels Bohr hat gesagt: Es wirkt, ob man daran glaubt oder nicht ..."
Für Sven steht fest:
"Seitdem sie diese Hexenarbeit macht, geht es uns beiden beruflich auch ziemlich gut. Wir haben einfach ein gutes Leben. Ob das jetzt an diesen Ritualen liegt oder daran, dass ihr das einfach auch großen Spaß macht, weiß ich jetzt auch nicht."
Seit fast 20 Jahren sind die beiden verheiratet. Sie, die Hexe, und er, der Physiker, ergänzen sich gut, finden beide.
Xenia: "Ich hab großes Glück, dass ich mit dem Physiker verheiratet bin. Weil ich dadurch nicht in die Gefahr laufe, esoterisch abzuspinnen. Ich kann immer mal fragen: Sag mal, was meinst du? Gibt es neun verschiedene Welten? Oder was ist die String-Theorie? Oder wie funktioniert das eigentlich mit den Mondkräften? Kann man das physikalisch messen? Und da kann ich immer mal nachfragen. Oder ich kann fragen: Wie ist das mit dem kosmischen Bewusstsein? Kann das sein, dass das im Körper immanent ist? Und dann erzählt der Mann: Ja, das kann sein. Weil jedes Atom in unserem Körper war irgendwann vor Urzeiten schon mal in einem Stern und sogar schon mal in der Sonne. Schau an, das ist physikalisch erwiesen!"
Bleibt noch die Frage: Wie heiraten eigentlich eine Hexe und ein Physiker?
Sven: "Also, wir haben katholisch geheiratet. Xenia ist von sich aus damals zur katholischen Kirche gegangen. Das war einfach die Suche nach der Spiritualität. Ich meine, die machen das ja auch irgendwie ganz toll. So vom Ritual, so mit ein bisschen Weihrauch und Gesängen und so. Da hat einfach die Kirche, einen gewissen Service bereitgestellt an Ritualen und Liturgie, das haben wir damals gern genommen. Aber heute, wo wir einfach viel mehr über die Sachen wissen, würden wir es ganz anders machen. Und Xenia macht ja auch Trauungen."
Zwei dieser Trauungen hat Xenia bereits als Hexen-Priesterin vollzogen. Noch häufiger allerdings sind es Scheidungen, die sie rituell durchführt. Über das Prozedere beim Anwalt hinaus wünschen sich manche Paare nach der Trennung ein solches Ritual, bei dem an glückliche Zeiten erinnert wird und man sich gegenseitig verspricht, von nun an friedlich getrennter Wege zu gehen. Dazu lässt Xenia beide Partner ein Band knüpfen, das später feierlich zerschnitten, verbrannt und beerdigt wird. Viele weinen währenddessen. Ein Paar, so erzählt Xenia, habe sich nach ihrer Scheidung wieder zusammengerauft.
Manchen liefert die neuheidnische Hexenreligion so Lebenshilfe –andere, vor allem christlich geprägte Menschen verteufeln sie, wie Hexe Moira im Umgang mit ihrer Verwandtschaft erlebt:
"Zwischen meiner Mutter und mir war es ein Kampf, weil in unserer Familie ist es so, das, was die Familie macht, machen nicht alle aus der Familie. Meine Mutter hat sich ganz massiv für die evangelische Kirche entschieden. Und hat natürlich auch gesehen, dass sie mich eigentlich fernhält davon. Nur, dadurch, dass meine Tante auf meine Uroma gehört hat und gesagt hat: 'Deine Tochter sollte aber wissen, was wir in der Familie machen', ist es eben dazu gekommen, dass ich Kontakt dazubekommen habe."
Generell ist die Skepsis gegenüber der Kirche bei vielen der Neuen Hexen groß, und manch eine vermutet noch heute in jedem Theologen einen Inquisitor. Die meisten Hexen aber geben sich tolerant und einige finden sogar Wege, sich mit christlichen Strömungen zu verbinden. Das Motto lautet: Jede soll auf ihre Weise selig werden. Je nach Erfahrung und Bedürfnislage setzen die Neuen Hexen ihre Kosmologien großzügig nach dem modernen Patchworkprinzip zusammen, aus keltischem, gälischem, germanischem und auch südasiatischem Götterpersonal.
Moira: "Also mein Pantheon ist zum Beispiel auf jeden Fall ein Teil aus dem Slawischen, weil es meine Familie ist. Aber das meiste, was ich verwende sind eben die Aspekte der gälischen Götter, und: wenn ich es unbedingt brauche, kann ich auch mal was Sumerisches nehmen, oder was Griechisches. Es kommt immer darauf an, was ich machen möchte. Ich nehme mir eine Energie, die ich brauche für ein Vorhaben. Und wenn ich diese Energie nehme, gucke ich welche Person welchen Gott setze ich mit dieser Energie, die ich in mir fühle, oder die ich hervorrufen will für dieses Projekt. Und damit kann ich wirklich diesen Aspekt fokussieren."
Kauna, die an der Universität im norwegischen Bergen studiert hat, hält es mit ihren Göttern genauso:
"Wenn ich dann Prüfungszauber mache oder so etwas. Das Zeichen der Universität in meiner Heimatstadt ist die Eule von Athena. Deswegen rufe ich dann normalerweise Athena-Minerva, wenn es um Prüfungszauber geht."
Die Neuen Hexen nehmen für sich in Anspruch, ihren Glauben niemandem aufzwingen zu wollen. Moira zum Beispiel vertritt das Prinzip der religiösen Offenheit auch gegenüber ihrem Sohn, der bald in die Schule kommt:
"'Mama was ist das? Mama, was machst du da?' - antworte ich. 'Mama, wie siehst Du es?' - antworte ich. Aber frag mal jemand, geh, frag, geh mal zum Dorfpfarrer und frag mal, wie der eben das sieht. Aber andererseits sage ich meinen Kindern auch: Ja, wenn Du das Bedürfnis zum Pfarrer hast, dann geh. Und wenn du das Bedürfnis hast, zum Rabbi zu gehen, geh. Und wenn mein Kind unbedingt zu einem Imam gehen möchte, habe ich auch die Möglichkeit, dass mein Kind sich mit einem Imam auseinandersetzen kann. So, dass er eigentlich jetzt wirklich dann später sehen muss, was er will. Vielleicht will er auch gar nicht glauben. Dann ist es so."
Matthias Pöhlmann von der evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen hält es sogar für möglich, dass die Kirche in der Auseinandersetzung mit den Neuen Hexen noch etwas lernen kann:
" Durch die Beschäftigung mit neuen religiösen Themen entdeckt auch die Kirche vielleicht vergessene, verdrängte Themen ihrer eigenen Verkündigungen. Für mich als Theologen, ist da eine wichtige Frage, wie halten wir es mit der Schöpfung, mit der Verantwortung für die Schöpfung und letztendlich ist das auch ein Beitrag aus christlicher Perspektive zur Entzauberung. Ich kann Menschen verstehen, die sich nach einer Wiederverzauberung der Welt verstehen, aber gleichzeitig rate ich doch dazu, den Verstand nicht auszuschalten, er ist auch eine gute Gabe Gottes."
Auch wenn die Hexenprozesse längst der Vergangenheit angehören und das Bild der Hexe vielschichtiger geworden ist: Neben den zahlreichen guten und mit Witz ausgestatteten Hexen, die als Bibi Blocksberg oder Hexe Lilli die Kinderzimmer bevölkern, hängt dieser Figur doch bis heute immer auch das Bedrohliche der Grimm’schen Hexe nach.
Ingelore Latza ist eine Hexe und Mitglied des Löwenmondzirkels, der sich seit zehn Jahren regelmäßig in Berlin-Steglitz versammelt, um gemeinsame Rituale zu feiern. Heute ist Neumond, und ein knappes Dutzend Frauen hat sich in einer feierlich geschmückten Altbauwohnung versammelt, um die magische Kraft des zunehmenden Mondes zu feiern.
Es sind junge und ältere Frauen, von denen keine die optischen Klischees einer Hexe erfüllt. In der Mitte des Sitzkreises liegen Symbole für die vier Himmelsrichtungen, eine schwarze Kugel steht für den noch nicht sichtbaren Mond, und eine Schale mit Gerste wird im Laufe des Abends mit individuellen Wünschen versehen und dadurch zur Mondsaat. Zum nächsten Treffen wird aus dieser Gerste die Hexensuppe gekocht. Doch erst einmal wird diese Mondsaat mit einem Mantra gesegnet. Und weil es bei all dem auch darum geht, die Kraft und Macht der Frauen zu stärken, wird er, der gute alte Mond, wie in anderen Sprachen heute zur Sie.
"So wie die Mondin nun zunimmt und bald in vollem Glanz erstrahlt, so nimmt meine Lebenslust zu. Im Namen der Mutter, der Tochter und der weisen Alten – so soll es sein."
"Ich rufe das alte Wissen."
Die selbst ernannten Neuen Hexen haben seit den 1980er Jahren in Deutschland Konjunktur. Offizielle Zahlen gibt es keine, vorsichtige Schätzungen gehen von rund 10.000 Menschen aus, die sich hierzulande als Hexe bezeichnen. Immerhin 35 Prozent davon - so nimmt man an - sind Männer. Auch sie nennen sich übrigens "Hexe", nicht - wie die schaurige Edgar-Wallace-Figur vermuten ließe - "Hexer".
"Ich rufe das alte Wissen, die Schwesternschaft und die Solidarität unter Frauen, die Verbindung zu den anderen Kreisen, zu den alten und den neuen."
Als Stifter dieser neuheidnischen Religion gilt der britische Hobbyanthropologe und Okkultist Gerald B. Gardner. Zeitgenossen beschrieben ihn als einen überaus liebenswürdigen, wenn auch extravaganten und mitunter sogar zutiefst wunderlichen älteren Herren. Er wiederum gab an, von einem geheimen Zirkel selbsternannter Hexen in Südengland inspiriert worden zu sein. In den 1950er Jahren veröffentlichte Gardner zwei Bücher, in denen er das Glaubensgerüst einer Religion entwirft, die er als vorchristlich ansieht und bei der die Verehrung der Natur im Vordergrund steht.
Der Begriff Hexe erfährt bereits in diesen Schriften eine feministische Umdeutung. Die Hexe gilt als starke, selbstbestimmte, magie- und naturkundige Frau, die in der Zeit der Hexenverbrennung Opfer patriarchaler und kirchlicher Gewalt wurde. In ihrer religiösen Praxis berufen sich die Neuen Hexen auf ein verschüttetes "altes Wissen", das in zahlreichen Zirkeln unter der Hand weitergegeben wird. Dabei spielt die Ahnenverehrung eine große Rolle. Sie lässt sich sogar in Berliner Hinterhöfen zelebrieren. Xenia Fitzner zum Beispiel hat in ihrem Garten hinterm Haus eine kleine Kultstätte eingerichtet. Manchmal spürt sie die neugierigen Blicke hinter den Gardinen der Nachbarhäuser, aber die stören sie nicht.
"Das hier ist ein Ahnenbaum, ein Holunder. Im Englischen heißt er Elder Tree."
Unter dem Strauch liegen Knochen, hübsche Steine und Fundstücke von Reisen, in den Zweigen hängt der Schädel eines Schafes, den die Hexe mit einem Spitzendeckchen ihrer Großmutter geschmückt hat.
"Es hat sowohl Schutz- als auch Abwehrfunktion. Wenn hier Leute übern Zaun klettern würden und des hier sehen, ich glaube, dass würde sie schon irritieren."
Heute feiert Xenia Fitzner bei ihrem Ahnenbaum ein sogenanntes Alltagsritual: Ihre Familie hat ein Reh gegessen, nun will sie sich bei dem Tier bedanken. An den übriggebliebenen Reh-Knochen hängt noch etwas Fleisch, das für den Fuchs und die Elstern im Garten bestimmt ist.
"Damit sind wir Stadthexen in Kontakt mit den Krafttieren, was unverzichtbar ist. Sonst hast du die Gefahr, so eine Art Disney-Land-Schamanismus zu machen, wenn du nicht weißt: Ok, du isst dieses Tier, das ist ein Reh, das ist gerannt, das hat im Wald gelebt, das war wild, das hat gerne gelebt, das wurde geschossen, diese sinnliche Wirklichkeit, die erleben wir noch ganz genau."
Die Knochen legt Hexe Xenia feierlich unter den Ahnenbusch. Dann nimmt sie ihre Rassel: einen Schildkrötenpanzer, der mit Milchzähnen und Goldstückchen gefüllt ist.
"Das Rasseln ruft das alte Wissen, das Rasseln lenkt das Bewusstsein von den neueren Bereichen, von der logischen Erkenntnis zurück in das archaische Gefühl, das Rasseln bringt auch so eine rhythmische Bewegung durch die ganzen Knochen. Manche sagen, es klärt und reinigt und vertreibt die schädlichen oder niederdrückenden und lähmenden Energien. Es kann Geister beschwören, besonders eben die erwünschten Geister.
Wenn ich hier mit so einer Ahnenrassel, die ich ja auch selbst zeremoniell gestaltet habe, rassele, dann sind eben durch die Zähne und durch das Holz, das mein Blutsverwandter gefunden hat, ja sind dann eben alle dabei."
Das Wort Hexe geht auf das mittelhochdeutsche Wort Hagazussa zurück und bedeutet so viel wie "Zaunreiterin". Gemeint waren Grenzgängerinnen zwischen dem Hof und der zivilisierter Welt einerseits und der Wildnis andererseits, erklärt Xenia, die den Berliner Löwenmondzirkel anleitet:
"Das heißt, sie kann in die Wildnis reingehen. Sie kennt sich aus mit den Tieren, mit den Pflanzen, mit der Nacht, mit den Sternen. Mit den geheimen Kräften und sie kann aber genauso gut ins Dorf gehen und da heilend oder beratend in ihrer Kunst tätig sein. Früher waren auch ganz viele Hebammen Hexen. Und an diese wunderbare Tradition, die lange verschüttet, aber immer noch in unserem Leib, lebendig ist, möchte ich gerne mit meiner Arbeit anknüpfen."
Matthias Pöhlmann beobachtet für die evangelische Kirche die weltanschaulich-religiöse Gesamtlage in Deutschland, und er versucht zu klären, welche Herausforderungen sich daraus für die Kirche ergeben. Für ihn ist der moderne Hexenglaube eine Art Sehnsuchtsreligion.
"Offensichtlich überwiegt bei vielen Menschen das Gefühl, dass man nur ein kleines Rädchen im Getriebe ist und wo ist jetzt mein Platz? Wo ist meine besondere Rolle? Was kann ich, sozusagen, in meinem Umfeld bewirken? Und für viele ist dann eben der Zugang zu diesen magischen Welten eine Möglichkeit, um dieses Bedürfnis auch auszuleben und sozusagen in die Tat umzusetzen."
Den Weg zum Hexenglauben finden viele eher zufällig. Bei Xenia war es eine Schauspielrolle. Sie sollte eine Hexe spielen. Als sie sich vorbereitete und viel von und über diese weisen Frauen las, fühlte sie sich angesprochen. Manche Frauen, die sich als Neue Hexe bezeichnen, berufen sich auch auf die Familientradition. Moira, die am Rande eines kleinen Dorfes in Brandenburg lebt, möchte ihren tatsächlichen Namen nicht preisgeben.
"Meine Tante hat mir die Dinge weitergegeben, die wir als Familie schon wussten. Wir haben in unserem Dorf ein bisschen in der Hinsicht was gemacht, dass wir die slawischen Götter angebetet haben, dass wir den Kontakt für das Dorf mit unserer Göttin hergestellt haben. Und, ja, das ist in der Familie dann eben weitergegeben worden."
Den Kontakt zu unterschiedlichen Göttern pflegen Hexen durch ihre Mond- und Jahreskreisfeste. Dabei wird besonders "Die Große Göttin" geehrt, denn ihr sagt man nach, alles, was existiert, hervorgebracht zu haben. Den ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens feiern Hexen mit Gesängen und Trommeln, mit Tanz und vor allem mit großer Ausgelassenheit. Besonders zünftig geht es in der Walpurgisnacht am 30. April zu. Das weiß jedes Kind – spätestens seit Ottfried Preußlers kleiner Hexe.
In dieser Nacht verwandeln sich viele Orte zu Hexentanzplätzen, und der Sprung über das Feuer ist obligatorisch. Kauna stammt aus Norwegen. Für die Religionswissenschaftlerin und praktizierende Hexe steht die Walpurgisnacht vor allem für Fruchtbarkeit und die Liebe:
"Wenn man da gerade ein Partner hat, dann ist es ein guter Tag, das wieder zu bestätigen, also die Liebe zwischen Partnern in der Hinsicht. Wenn nicht, naja, dann hat man dann meistens geht man dann mit guten Freunden und macht ein Ritual und hat danach noch eine gute Feier."
Die Jahreskreisfeste zu feiern und Mondrituale zu begehen ist das eine. Was aber wäre eine echte Hexe ohne Magie? Hexe Moira jedenfalls möchte auf sie nicht verzichten:
"Warum soll man nicht mal ein bisschen Magie benutzen, wenn sie einem wirklich hilft? Ich meine, wenn ich schnell durch die Stadt muss, ich bin Autofahrerin, einfach gesagt: So, und jetzt ist jede Ampel grün, dann, ich weiß, dass jede Ampel dann grün ist. Oder, ich habe es gehabt beim Einkaufen gehen, da war Kauna auch mit bei. Ich komme an die Kasse und dann wird eine neue Kasse geöffnet."
Selbst wenn er sich nicht alles erklären kann – Xenias Schwager Jakob schätzt ihre kleinen Hilfen im Alltag:
"Diese Zauber, diese Schutzzauber eben, die nehme ich auch immer gern an, wenn wir dann verreisen, dann hängt sie uns immer ein paar Knochen und Federn ins Auto, und ich find das dann immer klasse und fühl mich dann auch sicherer, muss ich sagen."
Sogar skeptische Verwandte hören - wenn´s brenzlig wird - ein wenig auf Xenia und ihre Hexenkunst:
"Wenn richtig was Schlimmes ist, dann haben sie´s schon gern, wenn ich sage: Ich bete für Euch, ich singe für Euch. Ich hab das Gefühl, ich schau mal nach, ich guck mal für Euch in die Hand oder in die Karten, und wenn ich sehe: Es läuft alles gut, und das dann sage, dann freuen sie sich schon. Oder wenn ich sage: Da und da – pass mal auf, jetzt ist eine Zeit, die ist ungünstig – dann wollen sie´s schon hören. Aber sonst, wenn sie können, dann lachen sie auch gern drüber."
Verheiratet ist Xenia mit Sven. Der ist Physiker und entwickelt Brennstoffzellen. Wenn ihr Mann zu wichtigen geschäftlichen Verhandlungen geht, hilft Xenia auf ihre Weise: Sie lässt Zauber wirken und veranstaltet ein Ritual. Ob seine guten Vertragsabschlüsse darauf zurückzuführen sind? Sven überlegt:
"Es gibt da so einen schönen Ausspruch von Niels Bohr. Das ist der Begründer der Quantenmechanik, der, äh, ein Hufeisen über seiner Tür hängen hatte. Und ein Physiker hat denn gesagt: Sag mal, glaubst du an diesen Quatsch? – Niels Bohr hat gesagt: Es wirkt, ob man daran glaubt oder nicht ..."
Für Sven steht fest:
"Seitdem sie diese Hexenarbeit macht, geht es uns beiden beruflich auch ziemlich gut. Wir haben einfach ein gutes Leben. Ob das jetzt an diesen Ritualen liegt oder daran, dass ihr das einfach auch großen Spaß macht, weiß ich jetzt auch nicht."
Seit fast 20 Jahren sind die beiden verheiratet. Sie, die Hexe, und er, der Physiker, ergänzen sich gut, finden beide.
Xenia: "Ich hab großes Glück, dass ich mit dem Physiker verheiratet bin. Weil ich dadurch nicht in die Gefahr laufe, esoterisch abzuspinnen. Ich kann immer mal fragen: Sag mal, was meinst du? Gibt es neun verschiedene Welten? Oder was ist die String-Theorie? Oder wie funktioniert das eigentlich mit den Mondkräften? Kann man das physikalisch messen? Und da kann ich immer mal nachfragen. Oder ich kann fragen: Wie ist das mit dem kosmischen Bewusstsein? Kann das sein, dass das im Körper immanent ist? Und dann erzählt der Mann: Ja, das kann sein. Weil jedes Atom in unserem Körper war irgendwann vor Urzeiten schon mal in einem Stern und sogar schon mal in der Sonne. Schau an, das ist physikalisch erwiesen!"
Bleibt noch die Frage: Wie heiraten eigentlich eine Hexe und ein Physiker?
Sven: "Also, wir haben katholisch geheiratet. Xenia ist von sich aus damals zur katholischen Kirche gegangen. Das war einfach die Suche nach der Spiritualität. Ich meine, die machen das ja auch irgendwie ganz toll. So vom Ritual, so mit ein bisschen Weihrauch und Gesängen und so. Da hat einfach die Kirche, einen gewissen Service bereitgestellt an Ritualen und Liturgie, das haben wir damals gern genommen. Aber heute, wo wir einfach viel mehr über die Sachen wissen, würden wir es ganz anders machen. Und Xenia macht ja auch Trauungen."
Zwei dieser Trauungen hat Xenia bereits als Hexen-Priesterin vollzogen. Noch häufiger allerdings sind es Scheidungen, die sie rituell durchführt. Über das Prozedere beim Anwalt hinaus wünschen sich manche Paare nach der Trennung ein solches Ritual, bei dem an glückliche Zeiten erinnert wird und man sich gegenseitig verspricht, von nun an friedlich getrennter Wege zu gehen. Dazu lässt Xenia beide Partner ein Band knüpfen, das später feierlich zerschnitten, verbrannt und beerdigt wird. Viele weinen währenddessen. Ein Paar, so erzählt Xenia, habe sich nach ihrer Scheidung wieder zusammengerauft.
Manchen liefert die neuheidnische Hexenreligion so Lebenshilfe –andere, vor allem christlich geprägte Menschen verteufeln sie, wie Hexe Moira im Umgang mit ihrer Verwandtschaft erlebt:
"Zwischen meiner Mutter und mir war es ein Kampf, weil in unserer Familie ist es so, das, was die Familie macht, machen nicht alle aus der Familie. Meine Mutter hat sich ganz massiv für die evangelische Kirche entschieden. Und hat natürlich auch gesehen, dass sie mich eigentlich fernhält davon. Nur, dadurch, dass meine Tante auf meine Uroma gehört hat und gesagt hat: 'Deine Tochter sollte aber wissen, was wir in der Familie machen', ist es eben dazu gekommen, dass ich Kontakt dazubekommen habe."
Generell ist die Skepsis gegenüber der Kirche bei vielen der Neuen Hexen groß, und manch eine vermutet noch heute in jedem Theologen einen Inquisitor. Die meisten Hexen aber geben sich tolerant und einige finden sogar Wege, sich mit christlichen Strömungen zu verbinden. Das Motto lautet: Jede soll auf ihre Weise selig werden. Je nach Erfahrung und Bedürfnislage setzen die Neuen Hexen ihre Kosmologien großzügig nach dem modernen Patchworkprinzip zusammen, aus keltischem, gälischem, germanischem und auch südasiatischem Götterpersonal.
Moira: "Also mein Pantheon ist zum Beispiel auf jeden Fall ein Teil aus dem Slawischen, weil es meine Familie ist. Aber das meiste, was ich verwende sind eben die Aspekte der gälischen Götter, und: wenn ich es unbedingt brauche, kann ich auch mal was Sumerisches nehmen, oder was Griechisches. Es kommt immer darauf an, was ich machen möchte. Ich nehme mir eine Energie, die ich brauche für ein Vorhaben. Und wenn ich diese Energie nehme, gucke ich welche Person welchen Gott setze ich mit dieser Energie, die ich in mir fühle, oder die ich hervorrufen will für dieses Projekt. Und damit kann ich wirklich diesen Aspekt fokussieren."
Kauna, die an der Universität im norwegischen Bergen studiert hat, hält es mit ihren Göttern genauso:
"Wenn ich dann Prüfungszauber mache oder so etwas. Das Zeichen der Universität in meiner Heimatstadt ist die Eule von Athena. Deswegen rufe ich dann normalerweise Athena-Minerva, wenn es um Prüfungszauber geht."
Die Neuen Hexen nehmen für sich in Anspruch, ihren Glauben niemandem aufzwingen zu wollen. Moira zum Beispiel vertritt das Prinzip der religiösen Offenheit auch gegenüber ihrem Sohn, der bald in die Schule kommt:
"'Mama was ist das? Mama, was machst du da?' - antworte ich. 'Mama, wie siehst Du es?' - antworte ich. Aber frag mal jemand, geh, frag, geh mal zum Dorfpfarrer und frag mal, wie der eben das sieht. Aber andererseits sage ich meinen Kindern auch: Ja, wenn Du das Bedürfnis zum Pfarrer hast, dann geh. Und wenn du das Bedürfnis hast, zum Rabbi zu gehen, geh. Und wenn mein Kind unbedingt zu einem Imam gehen möchte, habe ich auch die Möglichkeit, dass mein Kind sich mit einem Imam auseinandersetzen kann. So, dass er eigentlich jetzt wirklich dann später sehen muss, was er will. Vielleicht will er auch gar nicht glauben. Dann ist es so."
Matthias Pöhlmann von der evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen hält es sogar für möglich, dass die Kirche in der Auseinandersetzung mit den Neuen Hexen noch etwas lernen kann:
" Durch die Beschäftigung mit neuen religiösen Themen entdeckt auch die Kirche vielleicht vergessene, verdrängte Themen ihrer eigenen Verkündigungen. Für mich als Theologen, ist da eine wichtige Frage, wie halten wir es mit der Schöpfung, mit der Verantwortung für die Schöpfung und letztendlich ist das auch ein Beitrag aus christlicher Perspektive zur Entzauberung. Ich kann Menschen verstehen, die sich nach einer Wiederverzauberung der Welt verstehen, aber gleichzeitig rate ich doch dazu, den Verstand nicht auszuschalten, er ist auch eine gute Gabe Gottes."
Auch wenn die Hexenprozesse längst der Vergangenheit angehören und das Bild der Hexe vielschichtiger geworden ist: Neben den zahlreichen guten und mit Witz ausgestatteten Hexen, die als Bibi Blocksberg oder Hexe Lilli die Kinderzimmer bevölkern, hängt dieser Figur doch bis heute immer auch das Bedrohliche der Grimm’schen Hexe nach.