Zwischen Tod, Trauer und Erlösung
Nach dem kraftvollen Monumentalwerk "Abendland" hat Michael Köhlmeier nun eine Novelle mit dem Titel "Idylle mit ertrinkendem Hund" vorgelegt. Die Geschichte, die als autobiografisch angehauchte Homestory beginnt, entwickelt sich zu einer behutsamen Auseinandersetzung mit dem Tod.
Michael Köhlmeier ist der "Österreicher über fünfzig". Mit dieser Formulierung brachte ihn kürzlich Daniel Kehlmann ins Gespräch, als er zu verstehen versuchte, warum Köhlmeiers grandiosem Monumentalroman "Abendland" im vergangenen Jahr nicht der Deutsche Buchpreis zugesprochen worden sei. Kämen "Österreicher über fünfzig" vielleicht grundsätzlich nicht in Frage? Wie auch immer, der Österreicher, der nächstes Jahr sechzig wird, hat nach dem epischen Kraftstück nun eine schlanke Novelle verfasst, deren Titel nur auf den ersten Blick befremdlich wirkt: "Idylle mit ertrinkendem Hund".
Köhlmeier bevorzugt einen eleganten, elaborierten Stil und verleiht seinen Geschichten gern den Anschein authentischen biographischen Erzählens. Das war schon in "Abendland" so, ungeachtet der enormen Fülle an Bildungsgut und recherchiertem Material, das in das Jahrhundert-Panorama einging. Erst recht in der "Idylle" geht es scheinbar ganz autobiografisch zu. Von einem Schriftsteller-Ehepaar ist die Rede, hinter dem man unschwer Michael Köhlmeier und Monika Helfer erkennen kann; vermutlich ließen sich die Vorarlberger Lebensumstände bis hin zu den täglichen Spaziergewohnheiten verifizieren.
Der Autor und sein Lektor namens Dr. Beer bemühen sich darum, ihre vorzügliche Arbeitsbeziehung ins Freundschaftliche zu erweitern. Eher zufällig hat sich beim Telefongespräch das "Du" zwischen ihnen eingeschlichen. Um es mit einer Tat zu flankieren, kündigt der Lektor seinen Besuch an. Wie es sich für eine "klassische" Novelle gehört, passiert im Verlauf dieses Besuchs eine unerhörte Begebenheit. Der Autor überlebt sie nur knapp. Wir erfahren: Das Leben bewegt sich immer auf dünnem Eis. Und Menschen sind meist nicht das, was sie zu sein scheinen.
Dr. Beer zum Beispiel, der etwas steif wirkende Geistesmensch, erweist sich unverhofft als exaltierter Naturfreund. Als er vor dem dschungelartigen Wintergarten der Schriftstellerfrau steht, bricht er in falsetthafte Begeisterungsschreie aus und beginnt zu tanzen. Dem Schriftsteller dämmert, dass er "die Optionen dieses Mannes missdeutet haben könnte".
Die forcierte Leichtigkeit des Text-Beginns erweist sich aber bald als falsche Fährte. Denn die Idylle ist gründlich vor die Hunde gegangen. "Seit Paulas Tod schlafen wir nicht mehr so gut." Es sind sehr private Momente, die Michael Köhlmeier hier "preisgibt" – um ein Wort zu verwenden, dass Dr. Beer in seiner Berufsausübung unterkringelt hätte. Gemeint ist das Trauma, das die Köhlmeiers im August 2003 heimsuchte: der Tod der 21-jährigen Tochter, die bei einer unspektakulären Bergwanderung verunglückte. Von Friedhofsbesuchen und Beruhigungsmitteln ist nun die Rede, vom Trost der Musik. Und von der allabendlichen Hoffnung, dass die Tochter wenigstens im Traum zurückkehren möge. Für den Schriftsteller stellt sich die dringende Frage, ob er über den Tod seiner Tochter schreiben soll, kann, darf. Dr. Beer weicht ihr aus – und die frische Freundschaft bekommt einen Knacks.
Was als plaudernde Homestory begonnen hat, endet als hochdramatische Abenteuernovelle. Beim Spaziergang im Tauwetter begegnet den beiden Männern ein herrenloser Hund, der sich dem Lektor schon tags zuvor auf einer einsamen Wanderung angeschlossen hatte. Er erkennt den Mann wieder, rennt ihm entgegen und bricht dabei ein im Eis. So kräftig das Tier ist, es kommt aus eigener Anstrengung nicht wieder heraus aus dem Wasserloch. Der Lektor läuft los, um Hilfe zu holen. Der Autor aber wagt sich inzwischen aufs Eis und versucht, das Tier herausziehen. Ohne dass es ausgesprochen werden müsste, wird deutlich, dass er die posthumen Tochter-Rettungsfantasien, die ihm in den vergangenen Jahren zusetzten, nun in einem anderen Szenario ausagiert. Es geht für ihn um viel mehr als um das Leben eines wildfremden Hundes – und deshalb riskiert er sein eigenes. Nur haarscharf kann sich die Utopie der Rettung erfüllen.
Die Seiten, die in literarischer Zeitlupe den verzweifelten Kampf am Eisloch schildern, sind große Novellenkunst. Im Spiel mit den Vorgaben der Gattung erweist sich der Text als offene Erzählung und geschlossene Form zugleich. Rückwirkend wird das Geschehen erhellt, ohne dass sich eine eindeutige Lesart aufdrängen würde. Dr. Beer zum Trotz – er hasst das Wort "geheimnisvoll" – bewahrt die Geschichte genügend Geheimnis und Unausgesprochenes. Mit leichthändiger Meisterschaft behandelt Michael Köhlmeier ein Thema von tragischem Gewicht. Eine berührende Lektüre.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Michael Köhlmeier: Idylle mit ertrinkendem Hund
Deuticke Verlag 2008
108 Seiten, 12,90 Euro
Köhlmeier bevorzugt einen eleganten, elaborierten Stil und verleiht seinen Geschichten gern den Anschein authentischen biographischen Erzählens. Das war schon in "Abendland" so, ungeachtet der enormen Fülle an Bildungsgut und recherchiertem Material, das in das Jahrhundert-Panorama einging. Erst recht in der "Idylle" geht es scheinbar ganz autobiografisch zu. Von einem Schriftsteller-Ehepaar ist die Rede, hinter dem man unschwer Michael Köhlmeier und Monika Helfer erkennen kann; vermutlich ließen sich die Vorarlberger Lebensumstände bis hin zu den täglichen Spaziergewohnheiten verifizieren.
Der Autor und sein Lektor namens Dr. Beer bemühen sich darum, ihre vorzügliche Arbeitsbeziehung ins Freundschaftliche zu erweitern. Eher zufällig hat sich beim Telefongespräch das "Du" zwischen ihnen eingeschlichen. Um es mit einer Tat zu flankieren, kündigt der Lektor seinen Besuch an. Wie es sich für eine "klassische" Novelle gehört, passiert im Verlauf dieses Besuchs eine unerhörte Begebenheit. Der Autor überlebt sie nur knapp. Wir erfahren: Das Leben bewegt sich immer auf dünnem Eis. Und Menschen sind meist nicht das, was sie zu sein scheinen.
Dr. Beer zum Beispiel, der etwas steif wirkende Geistesmensch, erweist sich unverhofft als exaltierter Naturfreund. Als er vor dem dschungelartigen Wintergarten der Schriftstellerfrau steht, bricht er in falsetthafte Begeisterungsschreie aus und beginnt zu tanzen. Dem Schriftsteller dämmert, dass er "die Optionen dieses Mannes missdeutet haben könnte".
Die forcierte Leichtigkeit des Text-Beginns erweist sich aber bald als falsche Fährte. Denn die Idylle ist gründlich vor die Hunde gegangen. "Seit Paulas Tod schlafen wir nicht mehr so gut." Es sind sehr private Momente, die Michael Köhlmeier hier "preisgibt" – um ein Wort zu verwenden, dass Dr. Beer in seiner Berufsausübung unterkringelt hätte. Gemeint ist das Trauma, das die Köhlmeiers im August 2003 heimsuchte: der Tod der 21-jährigen Tochter, die bei einer unspektakulären Bergwanderung verunglückte. Von Friedhofsbesuchen und Beruhigungsmitteln ist nun die Rede, vom Trost der Musik. Und von der allabendlichen Hoffnung, dass die Tochter wenigstens im Traum zurückkehren möge. Für den Schriftsteller stellt sich die dringende Frage, ob er über den Tod seiner Tochter schreiben soll, kann, darf. Dr. Beer weicht ihr aus – und die frische Freundschaft bekommt einen Knacks.
Was als plaudernde Homestory begonnen hat, endet als hochdramatische Abenteuernovelle. Beim Spaziergang im Tauwetter begegnet den beiden Männern ein herrenloser Hund, der sich dem Lektor schon tags zuvor auf einer einsamen Wanderung angeschlossen hatte. Er erkennt den Mann wieder, rennt ihm entgegen und bricht dabei ein im Eis. So kräftig das Tier ist, es kommt aus eigener Anstrengung nicht wieder heraus aus dem Wasserloch. Der Lektor läuft los, um Hilfe zu holen. Der Autor aber wagt sich inzwischen aufs Eis und versucht, das Tier herausziehen. Ohne dass es ausgesprochen werden müsste, wird deutlich, dass er die posthumen Tochter-Rettungsfantasien, die ihm in den vergangenen Jahren zusetzten, nun in einem anderen Szenario ausagiert. Es geht für ihn um viel mehr als um das Leben eines wildfremden Hundes – und deshalb riskiert er sein eigenes. Nur haarscharf kann sich die Utopie der Rettung erfüllen.
Die Seiten, die in literarischer Zeitlupe den verzweifelten Kampf am Eisloch schildern, sind große Novellenkunst. Im Spiel mit den Vorgaben der Gattung erweist sich der Text als offene Erzählung und geschlossene Form zugleich. Rückwirkend wird das Geschehen erhellt, ohne dass sich eine eindeutige Lesart aufdrängen würde. Dr. Beer zum Trotz – er hasst das Wort "geheimnisvoll" – bewahrt die Geschichte genügend Geheimnis und Unausgesprochenes. Mit leichthändiger Meisterschaft behandelt Michael Köhlmeier ein Thema von tragischem Gewicht. Eine berührende Lektüre.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Michael Köhlmeier: Idylle mit ertrinkendem Hund
Deuticke Verlag 2008
108 Seiten, 12,90 Euro