Zwischen Tradition und Moderne
Lovis Corinth gilt als einer der Wegbereiter des deutschen Expressionismus. In Frankreich ist Corinth hingegen kaum bekannt. Das möchte das Musée d'Orsay in Paris mit einer großen Ausstellung anlässlich seines 150. Geburtstag ändern. Die zeigt Corinth unter anderem als genialen Selbstporträtisten und "Maler des Fleisches".
Lovis Corinth ist ein Maler, der das Leben mit beiden Händen packt. Das erfahren die Besucher der Pariser Retrospektive gleich am Anfang: Auf dem "Selbstportrait mit seiner Frau und Sektglas" von 1902 schmiegt sich Corinth an die Schulter seiner Frau Charlotte. In der einen Hand hält er das Sektglas des Bildtitels, in der anderen die nackte Brust von Charlotte. Ein aussagekräftiges Bild, mit dem sich Corinth auch auf sein großes Vorbild, seinen geistigen Meister bezieht: Rembrandt und dessen berühmtes "Selbstbildnis mit Saskia oder der verlorene Sohn". Marie-Amélie zu Salm-Salm, Co-Kuratorin der Ausstellung:
"Corinth mischt sehr oft die mythologischen, religiösen Themen mit autobiographischen Szenen. Also, das ist einfach für ihn ganz charakteristisch und zu gleicher Zeit löst er es aber wieder komplett davon. Also wenn wir vor diesem Selbstbildnis stehen: Er stellt sich nicht als verlorenen Sohn dar, sondern er ist er selbst, und er zeigt sich mit seiner Muse, er fasst ihr sogar auf die Brust, dass man die Brustwarze zwischen den Fingern sieht, also es hat etwas sehr Haptisches auch, was sehr Direktes."
Das "Selbstportrait mit seiner Frau und Sektglas" ist eines von vielen Selbstbildnissen, in denen Corinth sich selbst und seine Malerei inszeniert - eine fleischig-körperliche Malerei: Auch im "Selbstportrait mit Rückenakt" ist es die nackte Charlotte, die das Bild dominiert, genauer: ihr Rücken, auf der Schulter die schützende Hand des Malers mit der Palette, der selbstbewusst in den Spiegel schaut. Beim "Selbstportrait mit Glas" wiederum ist es der eigene massive männliche Körper, den Lovis Corinth kraftstrotzend und provozierend ins Bild setzt.
Die Aktmalerei - er bezeichnet das Genre als das "Latein der Malerei" - hat Corinth in Paris gelernt - in den 1880er Jahren, als Student an der Akademie Julian. Von der damaligen französischen Kunst-Avantgarde allerdings bekam Corinth, der deutsche Impressionist in spe, allerdings wenig mit:
"Er hat in seiner Zeit in Paris sich eher an den älteren Künstlern orientiert. Also ganz interessanterweise - auch alles was so dokumentiert ist - er hat sich nicht mit Monet auseinandergesetzt, als er hier war, sondern hat sich eher die Klassiker, die Salonmaler angeschaut. Der Akt ist aber sehr, sehr wichtig geworden in seinem Werk."
Lovis Corinth entwickelt sich zu einem "Maler des Fleisches" zwischen Tradition und Moderne. Nah beieinander hängen in der thematisch geordneten Ausstellung im Musée d'Orsay Genre-Gemälde wie "Das große Martyrium" - eine schonungslos drastisch gemalte Kreuzigungsszene - , Schlachthausbilder, auf denen das Fleisch eines toten Ochsen in kräftigen Rottönen Leben eingehaucht bekommt, Frauenakte, auf denen die nackte Haut Formen und Farben annimmt, die die radikale Malerei eines Lucian Freud vorweg zunehmen scheinen.
Marie-Amélie zu Salm-Salm: "Also immer wieder schafft er es, auch so Grenzen aufzubrechen zwischen den unterschiedlichen Gattungen, uns immer wieder zu überraschen, auch mit seiner Malweise, wenn Sie sich zum Beispiel vorne die Violinistin anschauen, von 1900. Ein Gesicht in der alten Malweise, ganz detailliert ist das Gesicht ausgearbeitet. Und dann hat sie ein Kleid an, man würde sagen: informelle Malerei der 50er Jahre vorgegriffen. Komplett aufgelöste Struktur. Und da schafft einfach Corinth es, uns immer wieder zu überraschen. Und ich denke, das ist ganz gut zusammengefasst mit den Begriffen zwischen Tradition und Moderne."
Die Pariser Ausstellung geht sogar noch einen Schritt weiter - bis zur Gegenwartskunst, so die These, reicht der Einfluss von Lovis Corinth. Der Beleg: Ein großes Tryptichon von Anselm Kiefer mit dem Titel - in Anlehnung an Corinths berühmtes "Selbstbildnis mit Skelett", das in der Pariser Ausstellung leider fehlt - "Für Lovis Corinth. Selbstbildnis mit Skelett".
Anselm Kiefer: "Es ist nicht nur eine Hommage. Es ist ein Bild, das ich gemalt hab' quasi neben Corinth. Also ich wusste vom Serge Lemoine, dass er die Ausstellung macht, er hat mich gefragt, ob ich etwas da beitragen will. Und dann hab' ich eigentlich ein Jahr an Corinth gedacht - während ich gearbeitet habe. Ich hab' nicht speziell ein Bild gemacht für Corinth - eigentlich war's wie eine Parallelaktion."
Welkende Sonnenblumen bilden den Hintergrund des Corinth-Bildes von Anselm Kiefer - ein "Symbol des Werdens und Vergehens", so Kiefer, "aber auch für den Tod und die Auferstehung". Themen, um die das Werk von Lovis Corinth ständig kreist. Bis zum Schluss. Das letzte Bild dieser hervorragenden Retrospektive ist Lovis Corinths letztes Selbstbildnis - ein abgemagerter, von zwei Schlaganfällen und dem Alter gezeichneter Mann - ein Bild von der Vergänglichkeit der menschlichen Existenz.
" ... wo er sich selber vor einem Spiegel zeigt. Also es ist eine Doppelung des Selbstbildnisses, ein Bild im Bild, und da zerfällt er komplett. Das ist 1925 entstanden in seinem Todesjahr und manche Kritiker sprechen sogar richtig von der Auflösung der Form, wo das Gesicht sich komplett zersetzt. Und da geht er sehr schonungslos mit um."
"Corinth mischt sehr oft die mythologischen, religiösen Themen mit autobiographischen Szenen. Also, das ist einfach für ihn ganz charakteristisch und zu gleicher Zeit löst er es aber wieder komplett davon. Also wenn wir vor diesem Selbstbildnis stehen: Er stellt sich nicht als verlorenen Sohn dar, sondern er ist er selbst, und er zeigt sich mit seiner Muse, er fasst ihr sogar auf die Brust, dass man die Brustwarze zwischen den Fingern sieht, also es hat etwas sehr Haptisches auch, was sehr Direktes."
Das "Selbstportrait mit seiner Frau und Sektglas" ist eines von vielen Selbstbildnissen, in denen Corinth sich selbst und seine Malerei inszeniert - eine fleischig-körperliche Malerei: Auch im "Selbstportrait mit Rückenakt" ist es die nackte Charlotte, die das Bild dominiert, genauer: ihr Rücken, auf der Schulter die schützende Hand des Malers mit der Palette, der selbstbewusst in den Spiegel schaut. Beim "Selbstportrait mit Glas" wiederum ist es der eigene massive männliche Körper, den Lovis Corinth kraftstrotzend und provozierend ins Bild setzt.
Die Aktmalerei - er bezeichnet das Genre als das "Latein der Malerei" - hat Corinth in Paris gelernt - in den 1880er Jahren, als Student an der Akademie Julian. Von der damaligen französischen Kunst-Avantgarde allerdings bekam Corinth, der deutsche Impressionist in spe, allerdings wenig mit:
"Er hat in seiner Zeit in Paris sich eher an den älteren Künstlern orientiert. Also ganz interessanterweise - auch alles was so dokumentiert ist - er hat sich nicht mit Monet auseinandergesetzt, als er hier war, sondern hat sich eher die Klassiker, die Salonmaler angeschaut. Der Akt ist aber sehr, sehr wichtig geworden in seinem Werk."
Lovis Corinth entwickelt sich zu einem "Maler des Fleisches" zwischen Tradition und Moderne. Nah beieinander hängen in der thematisch geordneten Ausstellung im Musée d'Orsay Genre-Gemälde wie "Das große Martyrium" - eine schonungslos drastisch gemalte Kreuzigungsszene - , Schlachthausbilder, auf denen das Fleisch eines toten Ochsen in kräftigen Rottönen Leben eingehaucht bekommt, Frauenakte, auf denen die nackte Haut Formen und Farben annimmt, die die radikale Malerei eines Lucian Freud vorweg zunehmen scheinen.
Marie-Amélie zu Salm-Salm: "Also immer wieder schafft er es, auch so Grenzen aufzubrechen zwischen den unterschiedlichen Gattungen, uns immer wieder zu überraschen, auch mit seiner Malweise, wenn Sie sich zum Beispiel vorne die Violinistin anschauen, von 1900. Ein Gesicht in der alten Malweise, ganz detailliert ist das Gesicht ausgearbeitet. Und dann hat sie ein Kleid an, man würde sagen: informelle Malerei der 50er Jahre vorgegriffen. Komplett aufgelöste Struktur. Und da schafft einfach Corinth es, uns immer wieder zu überraschen. Und ich denke, das ist ganz gut zusammengefasst mit den Begriffen zwischen Tradition und Moderne."
Die Pariser Ausstellung geht sogar noch einen Schritt weiter - bis zur Gegenwartskunst, so die These, reicht der Einfluss von Lovis Corinth. Der Beleg: Ein großes Tryptichon von Anselm Kiefer mit dem Titel - in Anlehnung an Corinths berühmtes "Selbstbildnis mit Skelett", das in der Pariser Ausstellung leider fehlt - "Für Lovis Corinth. Selbstbildnis mit Skelett".
Anselm Kiefer: "Es ist nicht nur eine Hommage. Es ist ein Bild, das ich gemalt hab' quasi neben Corinth. Also ich wusste vom Serge Lemoine, dass er die Ausstellung macht, er hat mich gefragt, ob ich etwas da beitragen will. Und dann hab' ich eigentlich ein Jahr an Corinth gedacht - während ich gearbeitet habe. Ich hab' nicht speziell ein Bild gemacht für Corinth - eigentlich war's wie eine Parallelaktion."
Welkende Sonnenblumen bilden den Hintergrund des Corinth-Bildes von Anselm Kiefer - ein "Symbol des Werdens und Vergehens", so Kiefer, "aber auch für den Tod und die Auferstehung". Themen, um die das Werk von Lovis Corinth ständig kreist. Bis zum Schluss. Das letzte Bild dieser hervorragenden Retrospektive ist Lovis Corinths letztes Selbstbildnis - ein abgemagerter, von zwei Schlaganfällen und dem Alter gezeichneter Mann - ein Bild von der Vergänglichkeit der menschlichen Existenz.
" ... wo er sich selber vor einem Spiegel zeigt. Also es ist eine Doppelung des Selbstbildnisses, ein Bild im Bild, und da zerfällt er komplett. Das ist 1925 entstanden in seinem Todesjahr und manche Kritiker sprechen sogar richtig von der Auflösung der Form, wo das Gesicht sich komplett zersetzt. Und da geht er sehr schonungslos mit um."