Zwist ohne Grenzen

Von Jan-Uwe Stahr |
Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Ungarn und der Slowakei. Obwohl die Grenzen zwischen den beiden EU-Ländern nahezu verschwunden sind und weitgehende Minderheitenrechte vereinbart wurden, schüren Nationalisten aus beiden Ländern nach wie vor Streit. Dabei üben sich Ungarn und Slowaken vor Ort in friedlicher Koexistenz.
"Nach dem Sozialismus haben wir vieles neu geschaffen. Unsere Bürger hier sind sehr fleißig."

Peter Pázmány steuert seine schwere Gelände-Limousine durch die Straßen von Dunajska Streda, zeigt nach links und nach rechts aus dem Wagenfenster. Der 59-Jährige nennt die slowakische Kreisstadt, die im fruchtbaren Schwemmland der Donau liegt, jedoch lieber bei ihrem ungarischen Namen: "Dunászerdahely". Schließlich ist er einer von rund 500.000 Ungarn, die in der Slowakei leben. Vorwiegend im südlichen Landesteil, denn der gehörte bis 1920 zum Königreich Ungarn.

Fast alle Schilder in Dunajskas Streda sind zweisprachig beschriftet: slowakisch und ungarisch. Neue Stadthäuser mit organisch geschwungenen, eleganten Fassaden und kleinen Läden säumen die Hauptstraße.

"Alles von Mákovetz", sagt Pázmány, ein breites Lächeln überstrahlt sein braungebranntes Gesicht. Imre Mákovetz - das ist ein berühmter Architekt; aus dem Nachbarland Ungarn. Makovetz hat das neue Stadtzentrum entworfen und Peter Pázmány hat es bauen lassen. Dort, wo zuvor gesichtslose Plattenbauten standen. 14 Jahre lang war er Bürgermeister des Ortes, hat aus der kleinen Agrar- und Lebensmittelindustriestadt nach der Wende ein "kulturelles Zentrum des Ungarntums" geschaffen, wie es im Reiseführer heißt. Mit anspruchsvoller Architektur, einem neuem Thermal-Park und guten Hotels.

"Hier gibt es einen guten Presszo, einen guten Kaffee", erzählt Pázmánys und deutet auf ein schickes Gartencafe. Auch das ist während seiner Amtszeit entstanden. Dunajskas Streda wirkt wohlhabend, den Bürgern scheint es ebenso gut zu gehen wie dem Politiker Pázmány: Er trägt ein elegantes Designerhemd, helle Hosen, handgearbeitete, spitze Halbschuhe und - am linken Handgelenk - eine schwere Armbanduhr

"Ich habe noch im Sozialismus Wirtschaftswissenschaft studiert", sagt er und winkt einen weißbeschürzten Ober herbei. Peter Pázmány stammt aus einem bekannten und wohlhabenden ungarischen Adelsgeschlecht. In der kommunistischen Tschechoslowakei wurde seine Familie enteignet, sein Vater zum Arbeiten in den Straßenbau geschickt. Erst nachdem die Slowakei 1993 ihre Unabhängigkeit errang, hat die Familie ihren Grundbesitz vom neuen slowakischen Staat zurückbekommen.

Pázmány lächelt, finanziell hat er ausgesorgt. Trotzdem ist er gar nicht gut zu sprechen auf die Politik in Bratislava. Zumindest nicht auf die der derzeitigen Regierung, einer Koalition aus linken Sozialdemokraten und der rechten Slowakischen Nationalpartei. Die Nationalisten hätten Unfrieden in seine schöne Stadt getragen, sagt der ehemalige Bürgermeister und erinnert an ein Fußballspiel im November vergangenen Jahres.

Der erfolgreiche Oberligaklub Dunajska Streda - ein prestigeträchtiges Symbol der ungarischen Slowaken - traf hier auf die slowakische Hauptstadt-Mannschaft Slovan Bratislava. Das Spiel endete vorzeitig - mit einem brutalen Polizeieinsatz gegen die einheimischen Fans, erzählt er.
"...Ja, ich war dort im Stadion und ich bin überzeugt, dass es eine angezettelte Aktion war, hinter der der slowakische Geheimdienst stand. Aber ich würde es auch nicht ausschließen, dass der ungarische Geheimdienst davon wusste."

Es gäbe ein Video, auf dem man sehen könne, wie die Polizei völlig grundlos mit der Schlägerei begonnen habe. Am Tag nach dem Spiel habe es der Stadtrat auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentiert, sagt Pázmány. Die Regierung in Bratislava behauptet dagegen, es gäbe ein Polizeivideo, auf dem gewalttätige ungarische Hooligans zu sehen seien. Allerdings wurden diese Aufnahmen unter Verschluss gehalten. "Das ist doch seltsam, nicht wahr", sagt Pázmán und zieht die dunklen Augenbrauen hoch.

Merkwürdig findet er bis heute auch den Anruf des stellvertretenden slowakischen Ministerpräsidenten. Kurz vor dem Spiel wollte der sich vom Bürgermeister einen Platz als Zuschauer reservieren lassen.

"Dabei sind wir nicht so gute Freunde, dass man sich mitten in der Nacht anruft. Es muss also einen Grund gehabt haben, weshalb er unbedingt hier sein wollte. Und was die Ungarn betrifft, denke ich, dass sie diese Situation zur Ablenkung von innenpolitischen Spannungen nutzen. Aber genau kann ich das nicht erklären."

Die Polizeigewalt von Dunajska Streda bietet Raum für wilde Spekulationen. Offensichtlich ist aber, dass es sowohl aus Budapest als auch aus Bratislava Politiker gibt, die eine nationalistische Stimmung anheizen. So etwa 10-15 Prozent Rechtsextremisten gibt es. Auf beiden Seiten, räumt Pázmány ein. Nur, anders als in Ungarn, seien sie in der Slowakei seit drei Jahren mit an der Regierung. Und sorgten seitdem für Streit: Gelder aus Brüssel, die zur Förderung der ungarischen Minderheit bestimmt sind, würden nun von den Ministern anderweitig abgezweigt. In den ungarischsprachigen Schulbüchern sollen Ortsnamen nur noch in slowakisch genannt werden. Dann das neue Sprachengesetz, das der ungarischen Minderheit bei öffentlichen Veranstaltungen die Benutzung von slowakisch als der offiziellen Landessprache vorschreibt. Und zu alledem spricht der Anführer der Slowakischen Nationalpartei, Jan Slota, regelmäßig öffentliche Drohungen gegen die ungarische Minderheit aus.

"Ich sehe im Programm von Slota nichts anderes, als dass er den Ungarn Angst machen will. Die Slowakei ist ein noch ein junger Staat, so dass es hier Nährboden für Nationalismus gibt. Das ist eine gefährliche Sache, da durch jede Aktion Reaktionen ausgelöst werden."

So veranstalteten Rechtsextreme aus Ungarn in der Slowakei bereits Aufmärsche mit Symbolen des ehemaligen Großungarns und sprachen dem Nachbarland das Existenzrecht ab.

Aber nicht nur Rechtsextreme, sondern auch konservative Politiker in Ungarn heizen den Konflikt an. Wie zum Beispiel der derzeitige Oppositionsführer Viktor Orbán von der Fidéz-Partei. Nach der Europawahl rief er Abgeordnete der ungarischen Minderheit in der Slowakei dazu auf, im Europaparlament lieber gemeinsame Sache mit Budapest zu machen, anstatt mit Bratislava. Die Retourkutsche der Slowaken ließ nicht lange auf sich warten: Als der ungarische Staatspräsident Lazlo Solyom im August auf Einladung der ungarischen Minderheit in der Slowakei ein ungarisches Denkmal enthüllen will, verweigert ihm die slowakische Regierung die Einreise. Wenig später kündigt dann der ungarische Fidez-Chef Orban der slowakischen Regierung "Rache" für ihre Schikanen an.

Politiker beider Nachbarländer Länder schüren so einen Nationalitäten-Konflikt, der in der Bevölkerung bisher nicht gar nicht existiert. Auch nicht im slowakischen Dunajska Streda, wo die slowakischsprachigen Einwohner eine Minderheit im eigenem Land sind.

Katarina Poszmikova kommt zurück vom Einkauf. Sie trägt Bluejeans, einen weißen Pulli und in jeder Hand eine prallgefüllte Plastiktüte. Im ersten Stock angekommen, setzt sie die Tüten ab, streicht sich eine rotblonde Haarsträhne hinters Ohr und öffnet die Wohnungstür.

"Wir sind eine richtige slowakische Familie", sagt sie mit einem fröhlichen Lächeln, stellt Gläser auf den Tisch und gießt kühles Mineralwasser ein. Die 45-Jährige spricht akzentfrei ungarisch. Dabei ist nicht ungarisch, sondern slowakisch ihre Muttersprache. Die Landessprache ist hier in der südlichen Slowakei allerdings nur selten zu hören, denn hier stellt die ungarische Minderheit die Mehrheit.

"Sehr viele haben große Schwierigkeiten, slowakisch zu sprechen und vermeiden es lieber. Denn sie können es nicht und es ist ihnen peinlich. Und wenn sie wissen, dass jemand gut ungarisch kann, wollen sie es auch gar nicht. Sie fühlen sich nicht wohl dabei."

Eigentlich haben die Ungarn hier auch keinen wirklichen Grund, sich viel mit der slowakischen Sprache zu beschäftigen, sagt Katarina und lächelt. Schließlich gibt es ungarische Schulen, eine ungarische Universität, auch sind ungarische Radio- und Fernsehsender gut zu empfangen. Im Kino laufen ungarische Filme. Nicht nur in den Geschäften, auch auf den Ämtern der Stadt spricht jeder ungarisch. Und selbst die slowakischen Ordnungshüter tun es, bei Bedarf.
"Der Polizist ist verpflichtet, mich auf slowakisch anzusprechen. Wenn ich auf ungarisch antworte, darf er ruhig auf ungarisch mit mir sprechen. Das hängt davon ab, welche Sprache er spricht."

90 Prozent der Einwohner von Dunajská Streda sprechen nicht nur ungarisch, sondern fühlen sich auch als Ungarn. "Aber für mich ist das kein Problem", sagt die Slowakin Katarina. "Wir Slowaken leben in dieser Region doch schon seit vielen Jahrhunderten in friedlicher Nachbarschaft mit den Ungarn zusammen".

"Ich habe viele Freunde, Freundinnen. Manche sind ungarischer Nationalität, andere slowakischer. Wir treffen uns, wir sprechen slowakisch, dann ungarisch, dann wieder slowakisch, dann ungarisch - wir vermischen die Sprachen - niemand hat ein Problem damit."

Katarina Poszmikova will sich auch keine Probleme einreden lassen von den Politikern in Bratislava. Wie zum Beispiel dem bekennenden Ungarnfeind Jan Slota von der slowakischen Nationalpartei. Als Mitglied der Regierung schürt er in vielen seiner Reden regelrechten Hass zwischen den Bevölkerungsgruppen.

"Auch uns, den Slowaken, die hier leben, gefällt es nicht, wie Jan Slota redet. Wir sagen immer: Wie kann er über etwas reden, wovon er keine Ahnung hat. Er, der weit entfernt ist und nicht hier lebt. Die normalen Leute hier leben friedlich mit den Ungarn zusammen - wenn er es nicht kann, soll er da bleiben, wo er ist."

Das gelte auch für die Politiker in Ungarn, die versuchen, die ungarische Minderheit in der Slowakei für sich zu vereinnahmen. Diese ganzen Diskussionen um die nationale Zugehörigkeit - mit dem wirklichen Leben haben sie doch gar nicht viel zu tun, findet Katarina. In ihrem Freundeskreis, zum Beispiel, gibt es viele slowakisch-ungarische Ehen.

"Welche Nationalität haben die Kinder dann? Wenn sie beide Sprachen gleich gut sprechen und damit leben? Es macht keinen Unterschied ob man Ungar oder Slowake ist - wir sind alles Menschen!"

Ausgerechnet jetzt, da die Grenzen zwischen der Slowakei und Ungarn dank des Schengen-Abkommens praktisch verschwunden sind, setzen Politiker in beiden Ländern verstärkt auf Abgrenzung und Nationalismus. Das bekommen jetzt auch diejenigen Slowaken zu spüren, die sich schon seit langem um die Integration der ungarischen Minderheit bemühen.

Die Mittagschronik in "Radio Patria". Drei mal täglich bringt der Radiosender ein aktuelles Nachrichten-Magazin. Dazwischen gibt es Unterhaltungs-, Kultur und Kinderprogramme - das slowakische Radio, mit Sitz in der Hauptstadt Bratislava, sendet von morgens sechs bis abends sechs - ausschließlich in ungarischer Sprache.

Seit 1920, nach der Angliederung des ehemaligen Oberungarns an die neu entstandene Tschechoslowakei, ist Radio Patria zu empfangen, um die ungarische Minderheit publizistisch zu versorgen und ihre Loyalität gegenüber dem neuen Staat zu fördern. Während des Kommunismus gehörte Radio Patria zum staatlichen Rundfunk der Tschechoslowakei. Nach der Wende wird die Slowakei ein unabhängiger Staat. Jetzt wird der Sender von einem durch das slowakische Parlament gewählten Rundfunkrat kontrolliert. Der Programmauftrag ist jedoch der gleiche wie vor 90 Jahren: Radio Patria soll die rund 500.000 ungarischsprachigen Slowaken an ihr "Vaterland", die Slowakei, binden und so für ein gedeihliches Zusammenleben sorgen

"Das ist täglich Thema - das Zusammenleben von Slowaken und Ungarn", sagt der Nachrichten-Redakteur. "Wir berichten sowohl über die positiven als auch die negativen Ereignisse."

In der letzten Zeit gibt es eine Menge über negative Ereignisse zu berichten: Die Nachbarländer Slowakei und Ungarn provozieren sich gegenseitig. Die Ungarn seien gefährlich und würden einen Krieg mit der Slowakei provozieren, behauptete zum Beispiel der Chef der Slowakischen Nationalpartei, Jan Slota, kürzlich. Obwohl seine Partei zusammen mit den Sozialdemokraten in der Regierungsverantwortung steht und immerhin auch den Kultusminister stellt, hält man sich mit Kommentaren zu Slotas gefährlicher Hetze lieber zurück, räumt die Chefredakteurin von Radio Patria, Eniko Both, ein.

"Herrn Slota kann man nicht kommentieren. Er bewegt sich auf einem Niveau, das man nicht kommentieren darf"."

Womöglich könnte es für den Radiosender auch politisch gefährlich sein, sich mit Kritik an einer Regierungspartei zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Aber das mag die Chefredeakteurin des öffentlichen Radiosenders nicht offiziell sagen. Lieber spricht sie von ihrer Verantwortung:

""Die Verantwortung der Medien, wenn sie über Minderheitenfragen berichten, ist sehr, sehr groß. Wir mussten sehr darauf achten, uns nicht auf eine Seite zu stellen, nicht einmal versehentlich durfte so etwas passieren."

Die moderierende Rolle beim Zusammenleben von Ungarn und Slowaken wirkungsvoll wahrzunehmen, fällt Radio Patria allerdings zunehmend schwerer. Denn der 90 Jahre alte Sender leidet unter starkem Hörerschwund. Vor allem in der jungen Generation.

"Es nicht gerade üblich, dass in der Jugend das öffentliche Radio gehört wird. Sie ist für uns schwer erreichbar. Wir haben Jugendprogramme und es wäre sehr wichtig, die Entwicklung in eine gesunde Richtung zu fördern, aber das Radio kann diese Aufgabe nicht vollständig erfüllen."

Es fehlt Radio Patria am an dem nötigen Geld, sich zeitgemäß zu präsentieren: Die Internetseiten sind hoffnungslos veraltet. Die Räume, selbst die der Chefredaktion, wirken vernachlässigt. Nach der Umstellung des Sendebetriebes von Mittelwelle auf die qualitativ besseren UKW-Frequenzen ist Radio Patria vielerorts gar nicht mehr zu empfangen, ausgerechnet dort, wo die meisten ungarischen Slowaken wohnen. Denn bislang haben staatliche Gremien in Bratislava dem Sender die entsprechenden Frequenzen nicht zugeteilt.