Zwist zwischen Transnet und GDL

Moderation: Birgit Kolkmann |
Der Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, hat die Lokführergewerkschaft GDL scharf angegriffen. Der GDL gehe es darum, der größeren Gewerkschaft Mitglieder abzujagen, sagte Hansen. Außerdem zerstöre sie mit ihrem Arbeitskampf den Betriebsfrieden.
Birgit Kolkmann: Tatsache ist: Es wird weder einer verhungern, noch wird einer erfrieren in Deutschland. Das sagte GDL-Chef Manfred Schell zu den Befürchtungen, der Streik im Güterverkehr werde das ganze Land lahmlegen. Fakt ist aber, dass mit einem solchen Streik heute ab 12 Uhr der Druck auf den Bahnvorstand ganz erheblich wächst und eine neue Schärfe in den langen Tarifkonflikt kommt. – Norbert Hansen ist Vorsitzender der Bahngewerkschaft Transnet, die die meisten Eisenbahner vertritt. Ist das jetzt high noon im Tarifstreit, Herr Hansen?

Norbert Hansen: Ich befürchte, dass es noch nicht das high noon ist, sondern weiterhin dieses Problem sein wird, sich zu einigen. Das liegt auch mit daran, dass hier ein Organisationsstreik geführt wird und nicht wirklich ein Streik um Einkommensverbesserungen für die Lokführer.

Kolkmann: Also der Organisationsstreik, ob eigener Tarifvertrag für die Lokführer ja oder nein?

Hansen: Richtig. Wir führen ja auch Verhandlungen über bessere Bezahlung, an denen sich die GDL jederzeit beteiligen kann. Das haben wir immer angeboten. Wir haben bereits die Zusage einer deutlichen Einkommensverbesserung, allerdings in drei Stufen. Einer der Stellvertreter der GDL hat selbst erklärt, dass er einen Stufenplan auch akzeptieren würde. Für mich ist das der Beweis, dass man hier lediglich als kleinere spezialisierte Organisation sich einen Vorteil verschaffen will, um der größeren Gewerkschaft besser die Mitglieder abjagen zu können, und das ist nicht in Ordnung.

Kolkmann: Nun hat ja GDL-Chef Manfred Schell immer wieder gesagt, es ginge nun mal nicht an, dass Lokführer mit 1500 Euro Netto im Monat nach Hause gehen. Man kann ja beide Seiten, auch die Bahn mit ihren Argumenten durchaus verstehen. Alles ist ja auch schon gesagt worden. Aber es geht trotzdem nicht vor und zurück. Woran liegt’s?

Hansen: Zunächst mal muss man sorgfältiger mit den Zahlen umgehen. Ich finde auch, dass die Lokführer, aber auch andere Beschäftigte besser bezahlt werden müssen, zumal sie für die Bahn ein hervorragendes Wirtschaftsergebnis erzielt haben in den letzten Jahren. Die Zahlen sind aber nicht ganz korrekt. Ich sage noch einmal: Es kann eine Einkommensverbesserung ohne Streiks sofort gemeinsam durchgesetzt werden und es liegt ausschließlich an der Sturheit der Funktionäre der GDL, die hier ihrer Organisation einen Vorteil verschaffen wollen, um mehr Mitglieder zu bekommen, und das auf dem Rücken der Kunden, der gesamten deutschen Wirtschaft und der Gesellschaft. Das ist unmöglich!

Kolkmann: Sie sagen die Sturheit der GDL-Leute, vor allem der im Vorstand natürlich, und ich denke mal, dass Sie besonders Herrn Schell meinen. Geht es nicht auch um die Sturheit von Herrn Mehdorn?

Hansen: Herr Mehdorn ist sicherlich kein Diplomat. Das sehen ja viele so. Aber es geht ja hier auch um eine Frage, die weit über die Bahn hinausgeht. Wenn diese GDL sich durchsetzt mit ihrem Anspruch an den eigenständigen Tarifvertrag, obwohl die Bezahlung verbessert werden kann auf friedlichem Wege, dann ist das ein Signal für viele andere Bereiche. Wir müssten unsere Tarifpolitik grundlegend ändern. Wir würden den Konzerntarifvertrag aufdröseln in einzelne Spartentarifverträge und je nachdem wie viel Druckpotenzial die Tätigkeiten beinhalten, würden wir die Gehälter gestalten. Ich meine wo kommen wir da hin in unserer Gesellschaft, wenn das der Maßstab sein soll.

Kolkmann: Das sind natürlich auch alles Argumente, die Sie nicht zum ersten Mal nennen, auch nicht bei uns im Programm. Es geht jetzt um etwas anderes. Wie kann man denn nun die weitere Eskalation verhindern? Wer kann vermitteln, nachdem ja schon zwei hochkarätige Vermittler gescheitert sind?

Hansen: Ich glaube auch nicht, dass weitere Vermittlungen etwas bringen mit irgendwelchen Politikprominenten oder anderen, die dafür geeignet sind, solange nicht ein Signal auch von der GDL kommt, hier an den Verhandlungstisch zurückzugehen. Es wird ja taktiert. Es ist ja nicht so, dass nur dieses Überstundenabgeltungsangebot auf dem Tisch liegt. Das haben wir auch nicht akzeptiert. Es liegt das gleiche Angebot auf dem Tisch in einer dreistelligen Millionensumme, in den nächsten zwei bis drei Jahren in einem Stufenplan die Bezahlung der Lokführer und aller übrigen Beschäftigten über die 4,5 Prozent hinaus zu vereinbaren. Das will diese Organisation nicht und damit handelt sie auch nicht wirklich im Interesse ihrer eigenen Mitglieder.

Kolkmann: Was glauben Sie, wenn es jetzt zu diesem angekündigten Streik und möglicherweise in der nächsten Woche zu einem Streik aller Bereiche bei der Bahn kommt, was hat das für Konsequenzen?

Hansen: Das hat nach meiner Einschätzung weitgehende Konsequenzen auch für die Tarifautonomie, für das Streikrecht, das ja kein gesetzliches Recht ist. Wir wollen das auch gar nicht in Deutschland, weil das meistens einschränkend wirkt. Es ist vielmehr ein Richterrecht und ich befürchte, wenn jetzt das Gemeinwohlprinzip verletzt wird – und das ist nahe dran; man muss, auch wenn ein Streik notwendig ist, abwägen, wie weit man gehen kann -, dass dann eine politische Diskussion einsetzt, die für alle Gewerkschaften zu einer schweren Niederlage werden kann.

Kolkmann: Ich höre aus Ihren Worten immer heraus, dass Sie ziemlich sauer sind auf die GDL-Bosse. Wie ist die Stimmung im Unternehmen?

Hansen: Ja. Ich bin deswegen auch sauer, weil ich jahrelang immer wieder auf die GDL zugegangen bin, genauso wie wir ja noch eine weitere Konkurrenzgewerkschaft haben, mit der wir inzwischen hervorragend kooperieren und sie ist immer noch eigenständig und lebt. Das ist der Beweis, dass es gehen würde.

Wie es weitergehen soll? Ich kann nur weiterhin die Zusammenarbeit anbieten und daran erinnern, dass es eine gemeinsame Verantwortung für alle Beschäftigten gibt, und die sind abhängig von dem Wirtschaftsergebnis und von der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Hier ist ja auch der Ruf nach der Politik oft da gewesen. Ich bin nicht dafür, dass die Politik sich einmischt, aber wenn es zu einer Situation kommt, die für unsere gesamte Gesellschaft in Deutschland bedrohlich wird, dann wird das sicherlich nicht zu vermeiden sein. Dann soll die Politik aber nicht sich in die Tarifauseinandersetzung einmischen, sondern sich in einer staatsbürgerlichen Form mit der Gewerkschaft darüber auseinandersetzen, wo die Grenze des Gemeinwohls zu sehen ist. Das ist für mich eine juristische Frage, die aber möglichst nicht vorm Gericht ausgetragen werden sollte, sondern politisch.

Kolkmann: Dass Sie sauer sind auf die Lokführergewerkschaft, das haben wir verstanden. Ich fragte eben nach der Stimmung im Unternehmen. Sind da auch alle sauer auf die Lokführer?

Hansen: Na ja, es hat zu einer gewaltigen Polarisierung und zu sehr massiven Auseinandersetzungen geführt zwischen den Kolleginnen und Kollegen der verschiedenen Gewerkschaften. Das haben wir so nie gekannt. Die Eisenbahner waren immer berühmt dafür, dass sie ein Familienbewusstsein hatten und sehr stark zusammenhielten.

Kolkmann: Aber Familienkrach gibt es ja auch immer mal wieder?

Hansen: Ja, aber so nachhaltig, dass man gegenseitig Morddrohungen erhält und dass es auch schon Gewalttätigkeiten gegeben hat, sicherlich noch nicht. Eine Kollegin, die in einer Fernsehsendung aufgetreten war, wurde derartig gemobbt, dass sie ich glaube bis heute noch krank ist. Es gibt viele solche Beispiele. Ich persönlich habe Morddrohungen bekommen. Das habe ich in meinem ganzen Gewerkschaftsleben noch nie erlebt, so eine miserable Stimmung, so eine Störung des betrieblichen Friedens und des Betriebsklimas.

Kolkmann: Da muss ja fast schon die ganze Bahnbelegschaft auf die Couch?

Hansen: Na ja, die Belegschaft macht ihre Arbeit weiter. Das ist Gott sei Dank so. Aber es wird sicherlich nach diesem Konflikt nicht mehr die gleiche Eisenbahnwelt für die Beschäftigten sein wie vorher, es sei denn es gelingt doch noch, die Beteiligten und auch die beiden größeren Gewerkschaften gemeinsam mit dem Bahnvorstand und der GDL an einen Tisch zu bringen und eine gemeinsame Lösung zu finden. Für mich ist das der beste Weg, weil damit auch für die Zukunft Konflikte vermieden werden können.