Zwölftonmusik - ganz anders

"Zwölftonmusik": Arnold Schönbergs Erfindung – aber nicht nur seine. Tatsächlich erfand zur selben Zeit am selben Ort, vor bald einem Jahrhundert in Wien, auch Josef Matthias Hauer eine Zwölfton-Methode. Schönberg wurde berühmt, Hauer vergessen – wäre da nicht Steffen Schleiermacher als einer der wenigen Fürsprecher. Sein Stuttgarter Konzert ist einzig und allein Josef Matthias Hauer gewidmet.
Liebe Hörerinnen und Hörer, bitte lassen Sie fünf Minuten vor Beginn der Sendung die Rollos herunter und machen Sie sich frei. Nein, leider wartet keine Extra-Ausgabe des "Erotikon" auf Sie, sondern ein Abend voller Zwölftonmusik. Das finden Sie unerotisch? Dann kennen Sie Josef Matthias Hauer nicht. Der wollte nämlich, dass man seine Musik allenfalls leicht bekleidet und von allen Einflüssen der Außenwelt geschützt wahrnimmt. Hauers Zwölftonmusik zielt auf alle Sinne ab, und wo sie nicht unmittelbare Sinnlichkeit entfaltet, so doch wenigstens Sinnhaftigkeit, schließlich ist sie das präzise destillierte Ergebnis aus exakt 479.001.600 Entscheidungsmöglichkeiten. Alles klar?

Wenn sich der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher – vermutlich zumindest im Lendenschurz – in der Stuttgarter Staatsgalerie ans Klavier setzt, dann huldigt er einem der skurrilsten und zugleich perspektivreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, wenn nicht der Musikgeschichte. Denn Josef Matthias Hauer war weit mehr als nur der stets eifernde und geifernde Konkurrent Arnold Schönbergs. Er war der umfassende Denker einer geistigen Kosmologie, der von Rudolf Steiner und John Cage bewundert und von Hermann Hesse im "Glasperlenspiel" literarisch verewigt wurde. Die 479.001.600 rechnerisch möglichen Kombinationen der zwölf Töne des westeuropäischen Tonsystems waren für Hauer eine geistige "Ursprache", in deren "unbegrenzten Möglichkeiten unsere kulturelle Zukunft liegt".

Einen geistigen Wegbereiter erkannte Hauer in Friedrich Hölderlin: "Dieser ganz große Dichter war in erster Linie Musiker, er kannte die Zwölftonmusik, er musste sie kennen, sonst wären seine Schöpfungen unmöglich gewesen!"
So kreist diese Veranstaltung der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie um Hauers Hölderlin-Musiken, die in diesen Tagen auch auf einer mit Deutschlandradio Kultur koproduzierten CD von Dabringhaus & Grimm erscheinen werden.


Staatsgalerie Stuttgart
Aufzeichnung vom 17.3.11


Josef Matthias Hauer
Hölderlin-Lieder für eine mittlere Stimme und Klavier

Klavierstücke mit Überschriften nach Friedrich Hölderlin

Holger Falk, Bariton
Steffen Schleiermacher, Klavier und Moderation