Zypern-Experte: Zwangsabgabe ist der falsche Weg

Der Zypern-Experte Heinz A. Richter hat die Zwangsabgabe zur Rettung des zypriotischen Bankensystems scharf kritisiert. Im Gegensatz zu Griechenland habe das Land zuvor eine effiziente Wirtschaft gehabt, sagt der Historiker an der Universität Mannheim.
Ute Welty: Was ist mein Geld am Ende des Tages noch wert? Diese Frage drängt sich nicht nur Ihnen und mir auf, zyprische Sparer sehen fürwahr düsteren Zeiten entgegen, denn Sie werden einen Teil des Ersparten opfern müssen, um das Rettungspaket abzusichern, und das gilt dann jetzt auch für Versicherungen und Hilfsorganisationen. Wie hoch die Abgabe sein wird, das steht noch nicht fest, aber wer mehr als 100.000 Euro bei der Bank of Cyprus angelegt hat, der muss damit rechnen, dass er 60 Prozent davon in die Etesien schreiben kann. Was Heinz Richter davon hält, das kann ich jetzt mit dem Mannheimer Historiker und Zypernkenner selbst besprechen. Guten Morgen, Herr Richter!

Heinz Richter: Einen schönen guten Morgen!

Welty: Diese Zwangsabgabe löst ja ganz unterschiedliche Reaktionen aus. Die einen sagen, wie ungerecht, da nimmt man den Sparern das Geld ab, die anderen sagen, endlich kommt ein Land auch für sich selbst auf. Wo zwischen diesen beiden Positionen verorten Sie sich?

Richter: Wissen Sie, ich würde sagen, hier wurden in Zypern die völlig falschen Mittel angewendet. Zypern hat in der Vergangenheit Kredite aufgenommen und hat alle ohne irgendeine Ausnahme immer pünktlich zurückgezahlt. Nun, wir haben dort dieses Modell mit den Banken, man ist natürlich hier entsetzt, dass also das Volumen der Banken viermal so groß ist wie das Bruttosozialprodukt – viermal so groß! – und vergisst dabei, dass in Luxemburg es bei 24 liegt. Es wird also ganz offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. Und ich habe den Eindruck, dass man in Zypern die Methoden angewendet hat, die man sich nicht traute, in Griechenland anzuwenden.

Welty: Das heißt, eine solche Zwangsabgabe wäre auch für Griechenland der richtige Weg gewesen?

Richter: Nicht unbedingt diese Maßnahme, da glaube ich noch weniger dran. Aber was in Zypern passiert, ist, dass der Mittelstand, der langsam in den letzten Jahren entstand, praktisch ruiniert wird.

Welty: Das ist aber in Griechenland wohl auch der Fall.

Richter: Da hat es noch nie einen Mittelstand gegeben, es hat noch nie eine Industrie gegeben abgesehen von ein paar Staatsbetrieben und Kleinstbetrieben. Eine mittelständische Industrie, wie wir sie kennen, hat es noch nie gegeben.

Welty: Zypern ist im Sog von Griechenland in die Krise geraten, das liest man immer wieder. Können die Zyprer also eigentlich gar nichts dafür, dass es ihnen so schlecht geht?

Richter: Ich kann den ganzen Bereich noch nicht definitiv beurteilen, aber ich weiß, dass die Zyprioten den Griechen unendlich viel Geld geliehen haben, einige Milliarden, die natürlich jetzt weg sind, und in einer kleinen Volkswirtschaft, die getragen wird von 800.000 Leuten, ist das natürlich erheblich härter, als wenn 80 Millionen Geld verlieren, die in Griechenland investiert hatten.

Welty: Würden Sie so weit gehen und sagen, dass der Schuldenschnitt für Griechenland die Zyprioten – ja, wie soll ich sagen? – tatsächlich an den Rand des Ruins gebracht hat?

Richter: Aber selbstverständlich. Im Gegensatz zu Griechenland, wo man die letzten also Minimum 20 Jahre auf Pump lebte, hat es so was in Zypern noch nie gegeben. Zypern unterscheidet sich von Griechenland wie ungefähr die Schweiz von der Bundesrepublik. Es sind zwei Welten.

Welty: Inwieweit?

Richter: Zypern, die zypriotische politische Kultur ist völlig die westeuropäische: Man plant voraus, die Parteien sind echte Parteien und keine Klientelverbände, die Verwaltung ist effizient, und Korruption gibt es allenfalls in dem Maße, wie sie auch bei uns existiert. Aber wir haben auf Zypern nicht dieses elende Klientelsystem wie in Griechenland und in anderen Balkanstaaten.

Welty: Das klingt so ein bisschen, als ob Sie Zypern für das Paradies im Mittelmeer halten.

Richter: Nicht unbedingt, aber ich weiß, wie effizient die Zyprioten sind. Wenn Sie sich eine einzige Kurve vor Augen halten: 1960 wurde Zypern unabhängig, das heißt, der Kolonialstatus endete. Von da an, bis 1974, wuchs das Bruttosozialprodukt konstant an. Dann kam die große Katastrophe 1974 durch die türkische Invasion, da ging dieses Bruttosozialprodukt in die Horizontale, um 1975 schon wieder anzusteigen. Das heißt, die Zyprioten sind effizient in jeder Hinsicht. Im Endeffekt haben sie nur zugelassen, dass die falschen Leute bei ihnen investierten.

Welty: Zypern wird sparen müssen und geht vor allem seines Hauptgeschäftsmodells verlustig, nämlich der Banken. Welche Alternativen kann es für die zypriotische Wirtschaft geben?

Richter: Es gibt im Grunde nur zwei Bereiche, das eine ist der Tourismus, der aber langsam an Grenzen stößt, wenn man nicht die Insel zubetonieren wollte. Das andere ist die Landwirtschaft – wenn Sie im Februar Frühkartoffeln gekauft haben, sind die wahrscheinlich aus Zypern gewesen. Ein drittes Bein ist noch nicht in Sicht, ich traue aber den Zyprioten zu, dass sie in wenigen Jahren schon wieder ein neues Modell auf die Beine gebracht haben, von dem die Insel leben kann.

Welty: Können Sie sich eine Vorstellung davon machen, wie dieses Modell aussieht?

Richter: Zum Beispiel, dass es auf der Basis von diesem neu gefundenen Gas sein könnte.

Welty: Die Erdgasvorkommen, die im Mittelmeer angeblich vor Zypern sind?

Richter: Richtig.

Welty: Wobei damit ja eine Menge Probleme verbunden sind, weil Zypern ist ja eine geteilte Insel. Wem das dann nun gehört, weiß man ja auch nicht so genau.

Richter: Da gibt es klare völkerrechtliche Regeln: Es gibt die UNO-Seerechtskonvention, die ganz genau vorschreibt, wie die Abtrennungen in Gewässern zwischen zwei Staaten zu verlaufen haben, und das ist an und für sich international festgelegt. Der einzige Staat, der die UNO-Seerechtskonvention nicht ratifiziert hat, ist die Türkei leider.

Welty: Die ja dann doch einen erheblichen Anteil an dieser Diskussion haben werden.

Richter: Sie wird haben, aber da natürlich die Zyprioten selber nicht in der Lage sind, dieses Gas selber zu fördern, werden sie wahrscheinlich die Amerikaner ins Boot holen, und es ist unwahrscheinlich, dass die Türkei militärisch interveniert, um die amerikanischen Gasfirmen zu verjagen.

Welty: Dann hätten wir beide dieses Problem jetzt mal gelöst. Heinz Richter, Historiker in Mannheim, über die zypriotische Vergangenheit, aber auch über die zypriotische Zukunft. Herzlichen Dank dafür!
Richter: Gern geschehen!


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