Zypern

Wiedervereinigung reloaded?

Das mit dem Bildgebungs-Radiospektrometer Moderate-resolution Imaging Spectroradiometer (MODIS) der NASA erzeugte Bild zeigt die Insel Zypern.
Luftaufnahme der Insel Zypern © picture alliance/dpa/NASA/Modis
Von Michael Frantzen |
Am 22. Mai wählt Süd-Zypern, also der griechische Teil der Mittelmeerinsel, ein neues Parlament. Präsident Nikos Anastasiades lässt keinen Zweifel daran, was er will: sich aussöhnen mit den türkischen Zyprioten.
Soll noch einer sagen, Wahlkampf mache keinen Spaß. Xenia Constantinou lächelt auf der Bühne des "Jean Monnet-Saals" am Rande der südzypriotischen Hauptstadt Nikosia ihr schönstes Zahnpasta-Lächeln. Die liberale Parlaments-Kandidatin genießt das gerade. Die ganze Aufmerksamkeit; dass die fünf Referentinnen, die sie zu ihrem Event für junge Unternehmensgründerinnen eingeladen hat, beim Publikum so gut ankommen.

Aufgewachsen mit dem Zypern-Problem

Xenia ist eine gefragte Frau: hier ein Gespräch mit einer übereifrigen Unterstützerin, dort ein Interview für die Abend-Nachrichten im zypriotischen Fernsehen. Die zierliche Frau im weißen Designer-Kostüm kann Publicity gut gebrauchen: Zwar füllt die 37-Jährige die Hallen, doch sonderlich viel Hilfe vom liberalen Parteiapparat – den Herren der Schöpfung – nein, die bekomme sie nicht – meint die 37-Jährige lapidar.
"In meiner Kampagne versuche ich die Dinge rational anzugehen. Beim Thema Gleichberechtigung etwa: Es geht mir da nicht nur um das gleichberechtigte Miteinander von Frauen und Männern, sondern auch um Minderheiten-Rechte. Um Schwule und Lesben genauso wie um ethnische Minderheiten und Einwanderer. Alle sollten gleich sein – damit meine ich auch uns griechische Zyprioten und die türkischen. Wir sollten so schnell wie möglich das Zypern-Problem lösen. Ein föderales Zypern – das wäre naheliegend."
Das "Zypern-Problem" – Xenia ist damit groß geworden. Als sie 1979 zur Welt kam, war ihre Heimat schon seit fünf Jahren geteilt. Im Süden die griechischen Zyprioten, im Norden die türkischstämmigen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Doch seit einem Jahr keimt auf der "Insel der Aphrodite" Hoffnung auf – seit der Wahl Mustafa Akincis zum türkisch-zypriotischen Präsidenten. Der Linksliberale will beide Landesteile vereinen – genau wie sein Gegenüber auf der griechisch-zypriotischen Seite: Nikos Anastasiadis. Xenia nickt energisch. Auch ihre Partei ist für die Union.

Arbeitslosigkeit, Korruption, Brain Drain sind für viele wichtiger

Es ist spät geworden. Draußen auf dem dunklen Parkplatz wartet schon Marios, ihr Mann, mit dem Auto. Sie schaut auf ihre goldene Armbanduhr: halb zehn. Es ist mal wieder spät geworden. Ihr erster Wahlkampf – meint sie beim Hinauslaufen – er sei anders verlaufen als gedacht. Die Wiedervereinigung etwa.
Schon ein wichtiges Thema, aber eigentlich wollen die Leute über andere Sache reden: über die fehlenden Jobs, die Korruption, warum immer noch so viele junge, gut ausgebildete Zyprioten ihr Glück im Ausland suchen. Flammende Plädoyers für die Wiedervereinigung verpuffen da eher. Xenia gibt das zu denken.
"Wie aus den zwei Lebenswelten eine neue, gemeinsame Kultur entstehen soll – das übersteigt auch meine Vorstellungskraft. Die griechischen und türkischen Zyprioten leben schon seit Jahrzehnten nicht miteinander, sondern nebeneinander. Jeder macht sein eigenes Ding. Da denkt sich manch einer: Belassen wir es doch einfach dabei.
Ich selbst würde mir Klarheit wünschen. Unser Präsident und sein türkisch-zypriotischer Kollege verhandeln ja intensiv. Wenn wir Glück haben, bekommen wir Ende des Jahres ein föderales Zypern. Wenn nicht – tja, Pech gehabt. Das wäre schade, aber zumindest wäre so das Zypern-Problem gelöst."

Die Schuldenkrise hat Spuren hinterlassen

Ein Problem hat auch Andreas Kasenides – allerdings praktischer Art. Luftlinie gut sechzig Kilometer von Nikosia entfernt verzieht Andreas sein sonnengegerbtes Gesicht. Die Fisch-Lieferung verspätet sich. Dabei ist Fisch einer der Klassiker im "Veteranos", dem Hafen-Restaurant am Rande von Pyla. Der kleine, wuselige Mann kratzt sich an der Stirn. Ständig ist etwas in letzter Zeit. Wie zum Beweis läuft der Mittfünfziger zum Ausgang seines Restaurants: Da drüben – meint er und zeigt nach links – auf der anderen Straßenseite. Die Hotelruine: Ganz schlimm.
"Was für eine Schande. Ein Gebäude so verfallen zu lassen. Es sieht aus wie in Famagusta, der Geisterstadt im türkischen Teil Zyperns. Das Hotel steht schon seit Jahren leer und verfällt. Die Wirtschaftskrise, wissen Sie?! Dem Besitzer ging das Geld aus. Und ehe man sich versah, war er weg. Er soll sich nach Großbritannien abgesetzt haben. Irgendwie symptomatisch. Die Gegend hier ist auf dem absteigenden Ast.
Schauen Sie sich nur die Strandpromenade an: Die müsste längst modernisiert werden. Da brauchen wir uns nicht zu wundern, dass weniger Touristen kommen. Aber darüber redet kein Politiker – erst recht nicht im Wahlkampf. In den letzten 20 Jahren hat sich nichts getan. Rein gar nichts."
Sieben Angestellte hatte Andreas früher, heute sind es noch exakt zwei. Der Aufschwung, von dem die Regierung redet; das dicke Plus bei den Touristen-Zahlen: Plus 32,4 Prozent allein in den ersten drei Monaten des Jahres: Am "Veteranos" scheint das alles spurlos vorüber zu gehen.

In Pyla leben griechische und türkische Zyprioten friedlich zusammen

Zumindest Ludmilla hält Andreas die Treue. Die korpulente Russin lässt sich auf ihren Stammplatz fallen - vorne rechts am Fenster. Da hat sie alles im Blick – und kann rauchen. Ein Küsschen links, ein Küsschen rechts: Man kennt sich. Andreas mag die Russen. Gute Kunden. Großzügig. Deshalb hat er auch Russisch gelernt.
Doch seit den EU-Sanktionen gegen Russland und der Rubelkrise kommen nicht mehr so viele. Schlecht für die Inselwirtschaft, noch schlechter für Andreas. Dafür schauen jetzt ab und zu irgendwelche Friedens-Aktivisten vorbei.
"We live together. Without any problems."
Pyla mag ein verschlafenes Nest sein – und doch ist die 1500-Seelengemeinde friedensbewegten Zyprioten ein Begriff: Hier leben, inmitten der UN-kontrollierten Pufferzone, griechische und türkische Zyprioten noch zusammen. Friedlich. Tür an Tür. Das gibt es nirgendwo sonst auf Zypern.
"Ich treffe jeden Tag irgendwelche Türken. In unserem Café, beim Kartenspielen. Oder in meiner Straße. Ich verstehe mich gut mit meinen türkischen Nachbarn. Mit Hasan und den anderen. Wir unterhalten uns und wenn wir etwas haben, was weiß ich, am Computer oder am Auto, dann helfen wir uns gegenseitig. Alles ganz normal. Alles kein Problem."

Niemandsland in Nikosia

Das Zusammenleben von Griechen und Türken – kein Problem?! Alexis Galanos wird da ganz anders, wenn er das hört.
"Here in Cyprus we live under the shadow of Turkey."
Der Schatten der Türkei – anders als Andreas kann sich Alexis Galanos darüber mächtig aufregen. Donnerstagnachmittag, die Altstadt von Nikosia. Ein nüchterner Sechziger-Jahre-Bau. Keine fünfhundert Meter sind es vom Sitz des "süd-zypriotischen Städtetages" bis zur Grenze mit ihrem Stacheldrahtzaun und den Militärposten. Dahinter fängt der türkische Teil Nikosias an. Für den eleganten Chef des Städtetages Niemandsland.
Der Mann – in jüngeren Jahren einmal Parlamentspräsident - nippt an seinem pechschwarzen Kaffee, ehe er ausholt zu einem Kurzreferat über die Feinheiten der zypriotischen Politik: Dass die eigentliche Macht beim Präsidenten liege, das Parlament schwach sei, es Präsdent Anastasiades aber trotzdem wichtig sein müsse, bei der Parlamentswahl eine Mehrheit zustande zu bringen für seinen Versöhnungskurs.
"Wissen Sie, wenn Sie mich vor sechs Monaten gefragt hätten, hätte ich ihnen gesagt: Ich bin optimistisch. Wir bekommen das hin mit der Wiedervereinigung. Auch die Türkei. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass Erdogan nicht abgeneigt war. Die Türkei hätte ja über die türkischen Zyprioten einen Fuß in der Europäischen Union. Doch das war vor einem halben Jahr. Jetzt bin ich eher pessimistisch. Sie müssen sich nur anhören, welche Töne Erdogan spuckt, wie er sich in der Flüchtlingsfrage aufführt. Er hat die Europäer in den Händen. Das verheißt nichts Gutes für uns Zyprioten. Ich sehe eher schwarz."

Die Erinnerung an Famagusta wachhalten

Es steht einiges auf dem Spiel für Alexis Galanos. Wie viel, lässt sich gut an seinem Büro ablesen. Am Kalender hinter seinem klobigen Schreibtisch mit dem Motiven von Famagusta. Den ganzen Büchern über seinen Geburtsort im Regal. Famagusta – das ist seine Stadt.
Das Problem ist nur: Die Stadt, in der einst Sofia Loren und andere in ihren Strand-Villen lauschige Sommerabende verbrachten seit dem Einmarsch der türkischen Armee liegt sie im türkischen Teil Zyperns, gleicht das moderne Zentrum, Varosha, einer Geisterstadt. Zutritt verboten! Erst recht für jemanden wie Galanos. Der Konservative ist nämlich nicht nur Chef des Städtetages, sondern auch Exil-Bürgermeister Famagustas.
"Sie werden sich sicher fragen: Was macht so ein Bürgermeister? Nun, ich kümmere mich nicht um die Straßen oder die Müllabfuhr. Ich bin eher Botschafter Famagustas, ein gewählter, wohlgemerkt. Ich sorge dafür, dass die Erinnerung nicht verblasst. Zusammen mit den Organisationen, die es bis 1974 in Famagusta gab: Gewerkschaften, Clubs, Fußballvereine. Die existieren ja immer noch. Nur halt im Exil. Jetzt können sie natürlich sagen: Der Typ ist fast achtzig, Famagusta seit 42 Jahren in türkischer Hand, ist das nicht ein hoffnungsloser Fall? Ich halte es da mit Miguel Cervantes, dem großen Schriftsteller: Nur nicht aufgeben. Ich bin ein kleiner Don Quijote."

Auch die türkischen Zyprioten haben gelitten

Der Vergleich mit Don Quijote gefällt auch Larkos Larkou. Der Musiker grinst an diesem lauen Sommerabend. Larkos hat Famagustas Ritter der traurigen Gestalt letzten Sommer kennengelernt. Eher durch Zufall, beim Versöhnungskonzert im Nordteil der Insel.
"It was a very successful concert."
Ein Riesen-Erfolg war es in der Tat, das große Open-Air Konzert. Larkos zeigt in seinem Tonstudio am Rande der südzypriotischen Kleinstadt Kiti auf den Bildschirm: Die zwei nicht mehr ganz taufrischen Herren in der ersten Reihe, das sind Anastasiades und Akinci, die beiden Präsidenten. Und oben auf der Bühne er selbst. Samt seiner Folk-Band "Kyprogenia". Dass ausgerechnet sein Kollektiv auf dem Friedenskonzert spielte, ist kein Zufall: "Kyprogenia" bedeutet übersetzt "die aus Zypern Stammenden". Dementsprechend machen in der Band griechische und türkische Zyprioten zusammen Musik – auf griechisch und türkisch.
"Wenn es nach mir ginge, würde an unseren griechisch-zypriotischen Schulen Türkisch gelehrt. Und an den türkisch-zypriotischen Griechisch. Wir könnten dadurch viel leichter miteinander kommunizieren. Jetzt ist es doch so: Wenn ich mich mit türkischen Zyprioten unterhalte, selbst mit Hatice, meiner Frau – immer nur auf Englisch. Das muss doch nicht sein. Klar weiß ich, dass sich viele meiner Landsleute dagegen sträuben würden. Für die Nationalisten sind die Türken ja immer noch Schlächter. Die vergessen allerdings immer: Auch die türkischen Zyprioten haben gelitten – unter uns griechischen Zyprioten."

"Wir sind exakt gleich"

Larkos steht auf, um nach draußen zu gehen in seinen "Garten Eden". Paradiesisch ist es hier: Gerade blühen die zwei Papaya-Bäume, unter denen Billy, der Gockel, und die Küken friedlich vereint vor sich hindösen.
Um Billy und Co. kümmert sich meistens Hatice, Larkos' türkisch-zypriotische Frau. Beide haben sich über einen gemeinsamen Bekannten kennengelernt – und irgendwann festgestellt, dass sie mehr verbindet als nur die Liebe zur traditionellen zypriotischen Musik. Die ausgebildete Geigerin streicht sachte über ihren Bauch. Vier Monate noch, dann ist es so weit. Wird wohl ein Energiebündel wie sie – das Baby, meint Hatice lachend.
"Ob wir türkischen und griechischen Zyprioten uns ähnlich sind, willst du wissen? Aber hallo! Wir sind exakt gleich. Das gleiche Verhalten. Das gleiche Essen. Das gleiche Lachen. Alles gleich. Das Problem ist nur: Viele wollen das auf beiden Seiten nicht wahrhaben. Sie wollen nur zu ihrer Gruppe gehören. Ich mache da nicht mit. Du kannst schließlich auch sagen: Ich gehöre niemanden. Ich gehöre nur mir. Nur mir und Zypern."

Ein türkisch-griechisches Paar bleibt die Ausnahme

Ein türkisch-griechisches Pärchen – auf Zypern ist das immer noch die große Ausnahme. Ihre beiden Familien haben damit kein Problem, erst recht nicht ihre Musiker-Freunde. Aber die haben ja auch fast alle schon mal im Ausland gelebt – genau wie sie selbst: Hatice in Paris, Larkos drei Jahre lang in Athen. Der sonst so fröhliche Soundtüftler verzieht kurz das Gesicht: Griechenland. Kein gutes Thema. Das ganze Elend dort. Aber zumindest geht es Süd-Zypern wieder besser. Anfang April konnte das Land den Euro-Rettungsschirm verlassen, taxiert der IWF das Wachstum für dieses Jahr auf 1,6 Prozent. Doch Larkos winkt ab. Statistiken, schlimmstenfalls vorgetragen von wahlkämpfenden Politikern: Er schaltet da immer ab.
"Weißt du, für Politik interessieren wir uns nicht sonderlich. Ehrlich gesagt ist unser Fernseher immer aus. Wenn ich ihn einschalte: Was sehe ich?! Irgendwelche Politiker. Total gestresst. Völlig unflätig. Das Einzige, was ich mir wünsche, ist, dass unsere Politiker nach der Parlamentswahl endlich das Zypern-Problem lösen."
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